Erziehung und Unterricht 2018/3+4
Schmidlechner, Österreich in den 1950er Jahren 221 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 wollten, hatten sich in die gesellschaftliche Norm zu fügen. Dass sie dies taten, zeigt die Statistik. Es kam zu einem Heirats-, Kleinfamilien- und Geburtenboom. 12 Mit dem Wirtschaftsaufschwung zeigte sich allerdings, dass auf die Frauenarbeit nicht mehr verzichtet werden konnte. Dazu kam, dass in Kontext der Entwicklung der Konsum- kultur viele Familien auf das Einkommen der Frau angewiesen waren, um sich die neuen Errungenschaften leisten zu können. Demgemäß stiegen mit der ab 1954 einsetzenden Hochkonjunktur die absoluten Zahlen der erwerbstätigen Frauen an. Allein zwischen 1955 und 1960 erhöhte sich der Anteil der berufstätigen Frauen von 34 % auf 36 %. Bis 1961 war der Frauenanteil v.a. in Industrie und Gewerbe (von 28 % auf 38 %) und im Handel und Verkehr (von 10 % auf 15 %) stark gestie- gen. Gleichzeitig ging die Zahl der Hausfrauen zurück. 1951 wurden in Österreich 1,015.867 Hausfrauen gezählt, zehn Jahre später hatte sich diese Zahl um 13,9 % verringert. 13 Besonders der Anteil der verheirateten Frauen stieg zwischen 1951 und 1961 von 32 % auf 40 %. (vgl. Renn 2009, S. 115ff) Trotzdem wurde der gesellschaftliche Platz der Frauen nach wie vor vorrangig in Ehe und Familie gesehen. Unterstü t zt wurde diese konstruierte Rollenzuschreibung durch Me- dien, aber auch von Seiten der Wissenschaft, Pä d agogik, und Medizin. Besonders befürch- tet wurde dabei, dass es durch die Berufstätigkeit von Hausfrauen und Müttern auch zu ei- ner Neuordnung der gesellschaftlichen und privaten Organisation von Geschlechterver- hältnissen kommen könnte. In weiterer Folge begann sich das propagierte gesellschaftli- che Bild von „der arbeitenden Frau“ allerdings zu wandeln. An die Stelle der Hausfrau und Mutter, die zu Hause bleibt, um ihre Familie zu versorgen, trat nun die berufstätige Mutter, wobei die alten Rollenbilder, die den Frauen die alleinige Zuständigkeit für die Familie zu- schrieb, aufrechterhalten wurden. (vgl. Renn 2009, S. 132) ANMERKUNGEN 1 Eine umfangreichere Darstellung der Thematik findet sich bei Schmidlechner 1997. 2 Vor allem bei ihrem Lieblingsthema, der Kontrolle der Sexualmoral, übte die Kirche eine ungebrochene Macht aus und konnte auch große Teile der Jugend damit beeinflussen. (vgl. Grissemann/Veigl 2002; Veigl 1996, S. 36). 3 Ende 1945 wurden die ersten Schilling-Banknoten in Umlauf gebracht. Ein Paar Schuhe waren im Jahr 1950 für 150 Schilling erhältlich. 4 Der damalige Gegenwert waren 17,6 Milliarden Schilling, was rund zehn Prozent des damaligen BIP entsprach. Vgl. dazu Margareta Kopeinig im Kurier am 22.6.2017. 5 1950 295.000, und 1960 1,311.000. (vgl. Renn 2009, S. 130) 6 Ohne Zweifel kam dieser Prozess den amerikanischen Wirtschaftsinteressen sehr gelegen und wurde von den dafür zuständigen amerikanischen Institutionen zielstrebig und intensiv betrieben. Tatsächlich wurde die Situ- ation in Österreich aber wesentlich von Westdeutschland, das der österreichischen Entwicklung immer um ei- nige Jahre voraus war, beeinflusst. (vgl. Wagnleitner 1991) 7 Als Teenager wurden zunächst eigentlich nur die weiblichen Elvis Presley-Fans, ab 1957 dann alle weiblichen Jugendlichen bezeichnet. Ab 1959 wurden auch männliche Jugendliche Teenager genannt. (vgl. Schmidlechner 1995, S. 118) 8 Sehr deutlich ist dies an der Zunahme der Produktion von Strümpfen aus vollsynthetischen Fasern (Nylon, Per- lon) zu sehen, die sich innerhalb eines Jahres verdoppelte. (vgl. Arbeiter-Zeitung , 5.9.1957, S. 7. Zit. nach Mulley 1985, S. 24) 9 Wie z. B. dem Österreichischem Buchklub der Jugend, der für „gute, anständige Bücher“ warb. (vgl. Schmid- lechner 2003) 10 Halbstarke gab es überall in Westeuropa. (vgl. Zinnecker 1987, 119 f) In Österreich finden sich Vorläufer in den Wiener „Schlurfs“ der NS-Zeit. Dabei handelt es sich um männliche Arbeiterjugendliche, die sich bereits an ame- rikanischen Stilformen orientierten. (vgl. Gerbel et al . 1988)
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