Erziehung und Unterricht 2018/3+4
Kristan, Stimmungsbilder zu den EU-Integrationsschritten Österreichs in den 1990er-Jahren 253 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 ‚Gehirnwäsche‘ nennt die Freiheitliche Partei die Regierungskampagne. Die FPÖ setzt dem einen massiven Anti-EU-Feldzug entgegen. In den nächsten Tagen und Wochen werden in ganz Österreich 24.000 blaue Plakate mit dem gelben Schriftzug ‚Nein‘ af- fichiert. Eine Auswahl aus den Slogans ‚Nein zu 70.000 zusätzlichen Arbeitslosen‘, ‚Nein zur grenzenlosen Kriminalität‘ oder ‚Nein zur Abschaffung des Schillings‘. Dazu kom- men Flugblätter und 110.000 Informationsbroschüren. Schwerpunkt des Veranstal- tungsreigens wird eine Österreichtournee von Parteiobmann Jörg Haider sein, die ihn in den nächsten Wochen in die Landeshauptstädte zu Großkundgebungen führen wird. Kosten der Freiheitlichen Kampagne: vier Millionen Schilling. (…) Weit weniger aufwendig gestaltet sich die Ablehnungskampagne der Grünen, auch sie arbeiten mit einem Europatelefon, das sie allerdings Kummernummer nennen. Unter der kostenpflichtigen Nummer 045 01 990 70 990 hört man Spitzenvertreter der Grünen Parlamentsfraktion mit Argumenten gegen den Beitritt. Dazu kommt ein Info-Bus der seit voriger Woche quer durch Österreich tourt und unter anderem die umfangreiche Broschüre mit dem Titel ‚Ja zu Europa, Nein zur EG‘ verteilt. Mit dem Slogan ‚So nicht‘ versehen die Grünen ihren Kommentar zu den Verhandlungsergebnissen und ein Fol- der nach dem Vorbild eines Fahrplanes nennt sich ‚Stationen – eine Entgleisung‘. Diese Informationsmaterialien werden vor allem bei lokalen Veranstaltungen verteilt. Kos- tenpunkt der Aktivitäten der Grünen etwa drei Millionen Schilling. Die Koalitionsparteien haben schon vor längerer Zeit zahlreiche Aktivitäten parallel zur Regierungskampagne gestartet. Die SPÖ setzt dabei vor allem auf persönliche Gesprä- che durch ihre Funktionäre und auf Informationen in ihrem Mitgliedermagazin, das kurz vor der Volksabstimmung in 43 regionalen Mutationen an alle Haushalte ausge- schickt werden soll. Folder, Plakate und eine eigene Telefonhotline ergänzen die Auf- klärungsarbeit der Sozialdemokraten, die ihre Kampagne säuberlich vom Wahlkampf getrennt verstanden wissen wollen. ‚Ja zu Österreich – Ja zu Europa‘‚ so lautet die simple Botschaft der SPÖ. Die ÖVP wird in den nächsten Wochen vor allem mit Inseraten in den Printmedien für den Beitritt werben. Allein dafür sind 1,5 Millionen Schilling budgetiert. Ihre Slogans ‚Wir sind Europäer – Österreicher bleiben wir‘ oder ‚Wir leben in Europa – wir lieben Ös- terreich‘ werden von Außenminister Alois Mock und Parteichef Erhard Busek transpor- tiert. Die Volkspartei setzt darüber hinaus auf zwei große Veranstaltungen. Am 15. Mai, dem Jahrestag der Unterzeichnung des Staatsvertrages im Belvedere, und am 10. Juni, dem Geburtstagsfest für Außenminister Alois Mock. Die anderen Regierungsmitglieder werden während der nächsten Zeit durch die Bundesländer touren. Jugend- und Senio- renveranstaltungen runden das Programm der Volkspartei ab. Die Kosten für ihre Wer- befeldzüge konnten oder wollten beide Großparteien nicht nennen. Für den Beitritt wirbt auch als einzige Oppositionspartei das Liberale Forum und zwar mit einem Info-Bus, der durch Österreich tourt und von dem aus sogar Broschüren der Regierung verteilt werden. Kosten soll das alles etwa 600.000 Schilling, finanziert zum Teil aus Sponsoring. Neben Regierung und Parteien gibt es mehr als 100 Plattformen und Bürgerinitiativen in ganz Österreich. Sie setzen sich für ein Nein zum Beitritt ein. Die Koordination dieser Einzelinitiativen liegt bei der vor einigen Monaten gegründeten Plattform mit dem Namen ‚Zukunft Österreich‘. Prominente Exponenten sind die ehemalige Grüne Galions- figur Freda Meissner-Blau und der Historiker Gerhard Jagschitz. Ihre Mittel sind kon- ventionell. Plakate, Inserate und Flugblätter werden eingesetzt. Dazu kommen Veran- staltungen, zu denen die Plattform Referenten entsendet. Das Geld für die Aktivitäten
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