Erziehung und Unterricht 2018/3+4

258 Zeglovits, Wählen mit 16 – ein österreichisches Erfolgsmodell? Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 desländer, das aktive Wahlalter zunächst bei Gemeinderatswahlen auf 16 Jahre zu senken. Im Zuge der Wahlrechtsreform 2007 wurde schließlich das aktive Wahlalter in Österreich generell auf 16 Jahre gesetzt. Österreich nimmt hier eine Vorreiterrolle ein – in keinem an- deren Land der EU gilt ein allgemeines Wahlrecht ab 16 Jahren. Diese schrittweise Wahlaltersenkung ging allerdings mit einem kontinuierlichen Rück- gang der Wahlbeteiligung einher. Mark Franklin konnte zeigen, dass die Wahlaltersenkung von 21 Jahre auf 18 bzw. 19 Jahre in den westlichen Demokratien tatsächlich eine der Ursa- chen dafür war, dass die Wahlteilnahme insgesamt über die Jahre zurückging ( Franklin 2004). Wer mit 18 oder 19 das Wahlrecht erhält, wird bei einem Wahlzyklus von 4 oder 5 Jahren mit Anfang Zwanzig das erste Mal an einer Wahl teilnehmen dürfen, und dieses Al- ter von Anfang Zwanzig scheint tatsächlich ein besonders ungünstiges zu sein. In diesem Alter werden viele große Entscheidungen getroffen, etwa die Berufswahl; die Politik ver- liert angesichts dessen an Relevanz (vgl. Strate et al. 1989). Wer aus dem Elternhaus aus- zieht, entzieht sich dem eher Wahlbeteiligung fördernden Einfluss der Eltern und steht mehr unter dem Wahlbeteiligung hemmenden Einfluss von Gleichaltrigen ( Bhatti & Han- sen 2012). KritikerInnen der Wahlaltersenkung brachten die mangelnde politische Reife von 16- und 17-Jährigen ins Spiel, die sich in niedriger Wahlbeteiligung und schlecht informiert ge- troffenen Wahlentscheidungen niederschlagen werde. Eine mögliche Folge davon sei, dass diese WählerInnengruppe eine geringere Wahlbeteiligung aufweisen und keine informierte Wahlentscheidung treffen werde ( Chan & Clayton 2006). Ergebnisse einer Untersuchung zur probeweisen Wahlaltersenkung in Norwegen fallen in Bezug auf die politischen Reife der 16- und 17-Jährigen tatsächlich negativ aus ( Bergh 2013). Im Zuge der Wahlaltersenkung in Österreich wurde darüber hinaus noch auf juristische Inkonsistenzen hingewiesen, die entstehen, wenn 16-Jährige in Punkto Wahlrecht wie Er- wachsene, in Punkto Strafrecht aber wie Jugendliche behandelt werden ( Hofer et al. 2008). Die BefürworterInnen der Wahlaltersenkung aus der Wissenschaft argumentierten da- mit, dass man durch eine Vorverlegung der ersten Wahl junge Menschen besser in der Schule und im Elternhaus auf ihre erste Wahl vorbereiten könne, und damit die im Sinne der Wahlteilnahme besonderes ungünstigen Lebensphase Anfang 20 als Zeitpunkt der ers- ten Wahl vermeiden könne (vgl. Franklin 2004). Weniger wissenschaftlich sondern eher po- litisch, erhofften sich BefürworterInnen, die vielbeklagte Lücke zwischen Politik und jungen Menschen zu schließen (European Youth Forum 2013). In einer Resolution des Europarates wird diesen Argumenten Rechnung getragen: Diese Argumentation wurde schlussendlich in einer Resolution des Europarates verschriftlicht. Der Europarat sprach sich 2011 explizit für die Wahlaltersenkung aus (Council of Europe 2011). Die Grundannahme hier war, dass sich die Parteien stärker um die Anliegen jungen Menschen annehmen müssen, wenn sie deren Stimmen gewinnen wollen. Die Wahlaltersenkung ist in diesem Sinn eine Möglich- keit, in einer alternden Gesellschaft das Gewicht der Stimmen junger Menschen zu erhö- hen. Was heißt eigentlich „politisch reif“? Wann ist ein Wähler oder eine Wählerin eigentlich politisch reif? Und warum wird dies bei jungen, erstmals Wahlberechtigten hinterfragt, bei älteren Wahlberechtigten aber nicht? Als Indikatoren für politische Reife und gleichzeitig als Einflussfaktoren auf die Wahlbetei- ligung gelten, u. a. das Interesse an Politik, das Informations- und Diskussionsverhalten und damit verbunden das Wissen über Politik, speziell bei jungen Menschen aber noch stärker die Selbsteinschätzung über das eigene Wissen (vgl. Kaid et al. 2007). Es ist gerade

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