Erziehung und Unterricht 2018/3+4
Zeglovits, Wählen mit 16 – ein österreichisches Erfolgsmodell? 259 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 bei jungen Menschen wichtiger, ob sie von sich glauben, dass sie über Politik Bescheid wissen, als ob diese Selbsteinschätzung tatsächlich mit der Realität übereinstimmt. Politische reif wird oft im Sinne von gut vorbereitet verstanden, politsch reif sei also je- mand, der informiert und interessiert in eine Wahl geht. Es darf bezweifelt werden, dass dieser Umstand auf WählerInnen jeden Alters immer zutrifft. Dennoch ist die Senkung des Wahlalters natürlich ein Anlass zu hinterfragen, wie gut erstmals wahlberechtigte Menschen auf eine Wahl vorbereitet sind. Politisches Interesse Interesse am politischen Geschehen ist nach dem Civic Voluntarism Model von Verba , Schlozman und Brady eine der grundlegenden Voraussetzungen für Partizipation ( Verba et al. 1995). Nun zeigen empirische Studien (nicht nur in Österreich) immer wieder, dass junge Men- schen auf die Frage, wie interessiert sie an Politik seien, weniger Interesse angeben als äl- tere, und unter 20-Jährige noch weniger als 20- bis unter 30-Jährige (vgl. etwa Kritzinger et al. 2013). Die Interpretation „junge Menschen interessieren sich weniger für Politik“ ist da naheliegend, aber nicht notwendigerweise korrekt. Es konnte gezeigt werden, dass junge Menschen unter der Frage etwas anderes verstehen als ältere, dass junge Menschen den Begriff „Politik“ viel enger sehen als ältere, reduziert auf Parteipolitik, und dass die Unter- schiede in den Antworten zum Teil auf diesen Bedeutungsunterschied zurückzuführen sind. Wenn in anderen Ländern damit argumentiert wird, dass 16- und 17-Jährige zu wenig politisches Interesse zeigen, kann natürlich hinterfragt werden, was zuerst da sein muss, das Wahlrecht oder das politische Interesse. Kann man von jemandem, der kein Wahlrecht hat, verlangen, dass er/sie sich für Politik, die er auf eine wichtige Weise nicht mibestim- men darf, interessiert? Hier sind Vergleiche aus Österreich vor und nach der Wahlaltersen- kung sehr spannend. Tatsächlich war das Interesse 16- und 17-Jähriger in Österreich vor der Wahlaltersenkung niedriger als danach ( Zeglovits & Zandonella 2013). Ein kausaler Zusammenhang mit der Wahlaltersenkung kann zwar nicht belegt werden, ist aber doch naheliegend. Wichtiger noch ist aber das zweite Ergebnis, das die Autorinnen in ihrem Beitrag beschreiben: War vor der Wahlaltersenkung das politische Interesse von 16- und 17-Jährigen in erster Linie von ihren Eltern determiniert, verschiebt sich der Einflussbereich nach der Wahlaltersen- kung in den schulischen Bereich. Die Schule übernimmt also seit der Wahlaltersenkung mehr Verantwortung, indem sie den Rahmen bietet, dass wahlberechtigte Schülerinnen und Schüler entweder untereinander oder mit ihren LehrerInnen Politik im Allgemeinen oder bevorstehende Wahlen im Speziellen thematisieren, diskutieren oder Wissen zum Wahlvorgang oder den kandidierenden Parteien oder Listen vermitteln. Gerade bei jungen Menschen kann Interesse durch Aktivitäten von außen angeregt werden ( Quintelier & Hooghe 2012). Aktivitäten etwa in der Schule oder in der außerschuli- schen Jugendarbeit können also den Anstoß für politisches Interesse geben, und damit junge Menschen dazu ermuntern, das politische Geschehen zu verfolgen und sich daran gestalterisch zu beteiligen. Das politische Interesse von 16- und 17-Jährigen war Monate vor der Nationalratswahl 2013 niedriger als unmittelbar nach der Wahl ( Kritzinger et al. 2013), ein weiterer Hinweis darauf, dass Aktivitäten (der Wahlkampf im Allgemeinen, aber auch Aktivitäten speziell für junge Menschen) das Interesse anregen können.
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