Erziehung und Unterricht 2018/3+4

268 Anderl, Fluchthilfe in Vergangenheit und Gegenwart Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 Aufhebung von Strafurteilen gegen Flüchtlingshelfer zur Zeit des Nationalsozialismus“ wur- den schließlich weitere 137 Personen, größtenteils posthum, rehabilitiert. Dabei spielte es keine Rolle, ob sie Geld für ihre Dienste genommen und aus welchen Motiven sie ge- handelt hatten. Es kam nur darauf an, dass sie die Flüchtlinge tatsächlich über die Grenze gebracht und nicht im Stich gelassen hatten. Mit dem Gesetz sollte, so Stefan Keller , auch demonstriert werden, „dass nicht die Fluchthelfer ungesetzlich waren, sondern dass Ge- setze, die fliehende Menschen in den Tod schicken, jeder Vorstellung von Recht widerspre- chen“. 2 Nach dem Zweiten Weltkrieg Betrachtet man das Phänomen Fluchthilfe zeitübergreifend, so zeigt sich, dass die Bewer- tung stets von den jeweiligen politischen Konstellationen und ideologischen Rahmenbe- dingungen abhängig war und ist. Während des Kalten Krieges wurde sie im Westen im All- gemeinen positiv aufgenommen, trug sie doch dazu bei, das negative Bild der kommunis- tischen Regime des Ostblocks zu festigen. In Deutschland hatten sich in der ersten Zeit nach dem Mauerbau, zwischen 1961 bis 1964, vor allem im studentischen Milieu Westberlins Fluchthilfegruppen gebildet, die sich aufgrund des raschen Ausbaus der Grenzsicherungsanlagen durch die DDR rasch profes- sionalisierten. Mit der verfeinerten geheimdienstlichen und militärischen Überwachung der Grenze stiegen nach 1965 auch die Kosten für die aufwändigen Fluchthilfeaktionen. Wie in einem kundenorientierten Dienstleistungsunternehmen etablierten sich arbeitstei- lige Strukturen, und es wurden Fluchtvarianten zu unterschiedlichen Preisen angeboten: sicherere, aber teurere, und billigere, aber gefährlichere. ( Villinger 2016, S. 410 ff.) Die Fluchthelferinnen und Fluchthelfer vor allem der ersten Jahre nach dem Mauerbau genossen angesichts ihres uneigennützigen Engagements breite Unterstützung innerhalb der Bevölkerung und des politischen Establishments in der BRD. Bis in die 1980er Jahre hinein galt es sogar als legitim, dass für die Hilfe beim Entkommen aus der DDR Geld ver- langt wurde. So gab der Bundesgerichtshof der BRD als Höchstgericht 1980 einem Schleu- ser Recht, der von einem DDR-Bürger das vereinbarte Entgelt in der Höhe von 10.000 Mark einklagte, obwohl die versuchte Flucht in den Westen misslungen war. Gemäß dem Urteil wurden „Fluchthilfevergütungen von 15.000 DM und 30.000 DM je ‚geschleuster‘ Person im Hinblick auf hohe Unkosten des Fluchthelfers nicht als überhöht angesehen“. 3 Nach dem Ende des Ostblocks Mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 und der Auflösung des osteuropäischen Staatensys- tems entstanden in Mittel- und Osteuropa schlagartig offene Grenzen – nicht nur für die Menschen in der DDR, sondern kurzfristig auch für Flüchtende aus aller Welt. Rasch änder- te sich damit in den folgenden Jahren der öffentliche und politische Diskurs. Der Bundesgrenzschutz (BGS), der bis dahin schwerpunktmäßig an der östlichen Gren- ze der alten BRD im Einsatz gewesen war, zog nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten am 3. Oktober 1990 innerhalb weniger Monaten mit mehreren Einhei- ten an die Oder-Neiße-Grenze um. Von nun an galt es, die „illegale Zuwanderung und grenzüberschreitende Kriminalität“ zu bekämpfen. Auf Basis des BGS-Gesetzes von 1994 wurde eine 30 Kilometer breite Zone entlang der deutschen Ostgrenze zu einem „gefähr- deten Ort“ erklärt. Der BGS war damit berechtigt, auch ohne konkrete Verdachtsmomente Identitätskontrollen auf Straßen und in öffentlichen Einrichtungen durchzuführen. Die Feststellungen wurden vielfach nach dem „äußeren Schein“ vorgenommen – aufgrund der

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