Erziehung und Unterricht 2018/3+4

Anderl, Fluchthilfe in Vergangenheit und Gegenwart 269 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 Pigmentierung der Haut, der Sprache, der Kleidung und anderer Zeichen fremdländischer Herkunft. Unter dem Schlagwort „Sicherheitsschleier“ kooperierte der BGS eng mit der ein- heimischen Bevölkerung und lokal entstandenen Bürgerwehren. ( Dietrich 1998, S. 4 ff.) Seit den frühen 1990er Jahren wird in Österreich und den meisten anderen europäischen Ländern das Asyl- und Fremdenrecht sukzessive verschärft. Die Regierungen der EU- Mitgliedsstaaten orientieren sich in ihrer Politik mehr und mehr an rechtspopulistischen Forderungen und an Meinungsumfragen: Es sollen möglichst wenige Menschen aus den Krisenregionen dieser Welt nach Europa gelangen können. Migration, Terrorabwehr, Grenz- schutz und der Kampf gegen organisierte Kriminalität werden in einem Atemzug genannt. Ein menschlicher Umgang mit Geflüchteten gilt vielen als „Pull-Faktor“, der immer mehr Personen dazu animieren würde, sich auf den Weg zu machen. Mit den Dubliner Verordnungen wurde in den 1990er Jahren die Bearbeitung von Asyl- anträgen in Europa de facto fast ausschließlich auf die Grenzstaaten in Südeuropa abge- wälzt. Kaum war der Kalte Krieg zu Ende, begann die Errichtung immer neuer Bollwerke, „die die Abwehrmaßnahmen zu Land und zu Wasser effektiver machten als je zuvor – und tödlicher“, wie Morice/Rodier schreiben. 4 „Der alte Kontinent sah sich nicht mehr imstande, seine Grenzen zu überwachen, und begann systematisch – und unter Missachtung inter- nationaler Abkommen – die daraus erwachsenden Probleme und Aufgaben auf die Her- kunfts- und Transitländer abzuwälzen.“ Diese „Externalisierung“ oder „Exterritorialisierung“ der Migrationspolitik bedeutet, dass der Schengenraum mit einem vorgelagerten Sicherheitsgürtel jenseits seiner Außengren- zen umgeben wurde und immer weiter von den EU-Grenzen entfernte Gebiete, vor allem in Afrika, einbezogen werden – „im Rahmen von ebenso undurchsichtigen wie asymmetri- schen Vereinbarungen“, wie Morice und Rodier kritisieren. Den Herkunfts- oder Transitlän- dern der Migrantinnen und Migranten und ihren oft korrupten Regimen werden als Beloh- nung für ihre Rolle als Grenzwächter der EU politische und finanzielle Vergünstigungen in Aussicht gestellt. Auch der „Türkei-Deal“ und die Schließung der Balkanroute sind in die- sem Kontext zu sehen. Aufgrund einer 2001 veröffentlichten EU-Richtlinie müssen auch Flug- und Schifffahrts- unternehmen mit hohen Geldstrafen, sogenannten „carrier sanctions“, rechnen, wenn sie Passagiere ohne gültige Pässe und Visa transportieren. In der Praxis bedeutet das, dass die Reisenden vor dem Abflug oder der Einschiffung durch ungeschultes Sicherheitspersonal der jeweiligen Unternehmen und ohne nennenswerte öffentliche Kontrolle gefiltert wer- den. ( Baxewanos 2016, S. 429) Flüchtlingsabwehr auf hoher See Seit 2004 koordiniert Frontex, die „Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen“, die Abfangaktionen auf See – von der afrikanischen Küste über die Kanarischen Inseln bis in die Straße von Sizilien. Die EU investiert Milliarden in die Siche- rung ihrer Außengrenze. „Deutschland rüstet afrikanische Staaten wie Tunesien mit Über- wachungstechnik auf, um Flüchtlinge zu stoppen. Für europäische Konzerne ist das ein Milliardengeschäft“, schrieb „Die Zeit“ 2016. 5 Auf Katastrophen wie jene vom Oktober 2013, als hunderte Bootsflüchtlinge vor der ita- lienischen Insel Lampedusa ertranken, reagierten europäische Politikerinnen und Politiker bestürzt. Doch anstatt die restriktive Grenzsicherungspolitik zu überdenken, benutzten sie die Toten als Argument für noch härtere Maßnahmen „im Kampf gegen Schlepperei“ und die weitere Technisierung und Militarisierung der Grenzkontrollsysteme. ( Heimeshoff u. a. , Hrsg., 2014, S. 13).

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