Erziehung und Unterricht 2018/3+4

270 Anderl, Fluchthilfe in Vergangenheit und Gegenwart Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 Auf der Strecke bleibt bei alldem das Asylrecht, wie in mehreren Artikeln des Schwer- punktheftes „Grenzgebiete“, erschienen in der „Edition. Le Monde diplomatique“, darlegt wird: „Alle, die vielleicht Anspruch auf den Flüchtlingsstatus erheben könnten, sollen gar nicht erst in die Lage kommen, einen Antrag zu stellen: Man fängt sie bereits in den Puf- ferstaaten ab, mit denen sich die Festung Europa umgeben hat – oder schickt sie gegebe- nenfalls dorthin zurück“, schreiben Alain Morice und Claire Rodier . Die Flüchtlingspolitik der EU sei „ein paradoxes Konstrukt“, urteilt Arne Semsrott : „Um eine Chance auf Asyl zu haben, muss man sich auf europäischem Territorium oder an der Grenze befinden. Ein Recht auf Einreise gibt es aber nicht. Asyl können deswegen nur Men- schen beantragen, die mit dem illegalen Grenzübertritt automatisch zu Rechtsbrechern werden.“ 6 Die EU legt den Fokus immer stärker auf die Etablierung von „Hotspots“ – „Aufnahme- zentren“ an den EU-Außengrenzen –, in denen Flüchtende künftig ihre Asylanträge stellen sollen. Dabei droht jedoch die Gefahr, dass gerade in instabilen, undemokratischen Staaten riesige Flüchtlingslager entstehen werden ( Semsrot ). Auch bleibt zu bezweifeln, ob die Rechtsstaatlichkeit der Asylverfahren abseits einer kritischen Öffentlichkeit gesichert wäre. 7 Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die in den vergangenen Jahren tausende Men- schen vor dem Ertrinken im Mittelmeer gerettet und die Öffentlichkeit aufgerüttelt haben, werden zunehmend kriminalisiert und der Komplizenschaft mit den Schleppern bezichtigt. Sie seien ein Sicherheitsrisiko, heißt es, das Migranten anlocke. Ihre Seerettungsaktionen wurden inzwischen weitgehend unterbunden. Wie Stefan Salomon von der „Refugee Law Clinic“ der Universität Graz festgestellt hat, fehlen auch hierzulande empirische Daten zur Grenze des Machbaren: „Die Abwesenheit rationaler Darstellungen deutet darauf hin, dass es sich weniger um eine Grenze des tat- sächlich Machbaren handelt, denn um die Frage, wo diese Grenze politisch gezogen wer- den soll. (...) Die Frage ist weniger, wie viele Flüchtlinge sich Österreich leisten kann, als, wie viele Flüchtlinge wir uns leisten wollen.“ 8 Die neu errichteten Hindernisse und die Push-back-Aktionen – das Abdrängen und Zur- Umkehr-Zwingen von Schiffen mit Flüchtenden auf hoher See, die den Grundsatz der Nichtzurückweisung (das Non-refoulement-Gebot) der Genfer Flüchtlingskonvention ver- letzten, – schrecken die zur Flucht Entschlossenen nicht ab, sondern führen nur dazu, dass diese immer längere und gefährlichere Routen wählen. Das Sterben in der Wüste und auf dem Meer geht weiter. Welche Alternativen gibt es? „Wer den kriminellen Schleusern wirklich das Handwerk legen möchte, muss ein besseres Produkt anbieten: Möglichkeiten, nach Europa zu fliehen, die sicherer und günstiger sind als überfüllte Flüchtlingsboote. Das mag politisch heikel sein, doch alles andere ist verantwortungslose Augenauswischerei“, schreibt Miltiadis Oulios . (2016, S. 546) Auch die EU-Agentur für Grundrechte (FRA) hat den EU-Staatschefs umfassende Vor- schläge unterbreitet: ein gemeinsames Asylverfahren aller Mitgliedsstaaten, geteilte Ver- antwortung, temporäre Arbeitsbewilligungen, humanitäre Visa, die Möglichkeit, Asylan- träge an Botschaften im Ausland zu stellen, und Resettlement-Programme, bei denen Re- gierungen in humanitären Notsituationen selbst entscheiden können, nach welchen Krite- rien und in welcher Zahl sie Menschen die Einreise genehmigen. Maßnahmenkataloge lie- gen also auf dem Tisch – „sie müssen nur beschlossen und umgesetzt werden“, wie Arne Semsrott schreibt. 9

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