Erziehung und Unterricht 2018/3+4
Schachinger/Freynschlag/Pöllmann, Transition Kindergarten und Schule 277 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 Ein Plädoyer für den Gesamtunterricht Bis dato bilden die Unterrichtsfächer den Rahmen, um die Aufgaben und Funktionen der Schule zu realisieren. Hopmann und Riquarts (vgl. Böhme, Helsper 1999, S. 16) schreiben, dass nicht die Vermittlung von Fachinhalten als wesentliche Funktion der Schulfächer an- gesehen wird, sondern dass der „Beitrag des Faches zum allgemeinen Weltverständnis zur individuellen Entwicklung und zur Allgemeinbildung“ im Vordergrund steht. Im Sinne der Allgemeinbildung und des Erwerbs eines Weltverständnisses ist es auf- grund der Interdisziplinarität vieler Wissenschaftszweige und Themengebiete unabkömm- lich, dass die Schule vorbereitend wirkt und essentielle wissenschaftspropädeutische Ar- beit leistet. Die Verknüpfung mehrerer Fächer ist eine passende Möglichkeit, um dies zu er- reichen. Viele renommierte Pädagoginnen und Pädagogen, wie zum Beispiel Wolfgang Klafki , haben dies bereits erkannt und sehen, dass Wirklichkeitsverständnis und lebensnahes Ler- nen in den Fächern möglich ist und damit der überfachliche Unterricht einen wertvollen Beitrag dazu leisten kann, das Schulsystem zu ergänzen. Berthold Otto war zu Beginn des 20. Jahrhunderts Vorreiter des Gedankens: „Der Ge- samtunterricht ist ja nun freilich in vielen Hinsichten das gerade Gegenteil von allem, was man bisher Unterricht genannt hat. Zunächst einmal geht die Initiative grundsätzlich vom Schüler aus. Der Schüler bestimmt, was behandelt werden soll, wie lange es behandelt werden soll und in welcher Reihenfolge [...] Es gibt grundsätzlich keine Beschränkung auf bestimmte Fächer. Die Welt steht als Gesamtheit vor uns, und wir suchen uns als Gesamt- heit ihrer zu bemächtigen.“ (vgl. http://www.berthold-otto-schule.de ) Im Gesamtunterricht muss die Lehrerin/der Lehrer sich selbst und ihre/seine Trickkiste öffnen. Didaktisch gesehen steht der Kreativität nichts im Wege. Vor allem eine Material- und Methodenvielfalt bietet Kindern viele verschiedene Wege zum gleichen Ziel, wodurch viele Sinnesbereiche angesprochen werden. Dieses individuelle, handelnde und entdeckende Lernen im eigenen Lerntempo hilft Kindern, sich Lerninhalte besser zu verinnerlichen. Kinder lernen, Selbstverantwortung und Eigenständigkeit zu übernehmen. Sie entwickeln einen Sinn für das eigenständige Lernen anstatt des „Lernens für die Note oder die Eltern“. Die ständige Überschaubarkeit der ge- forderten Lerninhalte gibt Schülerinnen und Schülern ein Gefühl von Sicherheit. Aufgrund des Überblicks und der „Begrenztheit“ der Arbeit kommt es zu keiner Überforderung. Jedes Kind bestimmt für sich sein eigenes Tempo, um sein Ziel zu erreichen. Als zentralen Punkt des Gesamtunterrichts sehen Pädagoginnen und Pädagogen die Reflexion der geleisteten Arbeit. Somit lernen Kinder ihre Arbeit und ihren dafür benötig- ten Einsatz mit ihren eigenen Lernprozessen besser zu steuern. Das Kind steht im Mittelpunkt. Es bestimmt, unter welchen Lernvoraussetzungen es zu lernen beginnt. Die Schule schafft die lernanregende Umwelt dazu. Didaktisch gesehen soll der Gesamtunterricht Lernprozesse begleiten, gezielt anleiten und unterstützen. Dadurch erhöht sich die individuelle Lernkompetenz. Das zentrale Bemühen liegt immer darin, das Interesse der Kinder am Lernen zu wecken bzw. zu erhalten. Warum ist der Gesamtunterricht so gut für das Kind? Kinder haben bis zum Schuleintritt die größte körperliche und geistige Entwicklungsphase hinter sich gebracht. Im Alter von sechs Jahren entwickelt sich nun das komplexeste Ge- hirnareal, der Frontallappen. Das Kind kann nun den Unterschied zwischen Emotionen und Handeln erkennen und Gefühle wahrnehmen. Druck, Stress, psychische und emotionale
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