Erziehung und Unterricht 2018/3+4

Gaidoschik, Schwächen im Rechnen vorbeugen – durch Mathematikunterricht! 281 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 Verständnis der wesentlichen Prinzipien dieser Schreibweise ist erfolgreiches Umgehen mit Zahlen nicht möglich (vgl. Scherer & Moser Opitz 2010). Zentral sind das Bündelungs- und das Positionsprinzip. Bündelungsprinzip heißt: Je 10 einer Einheit (Einer, Zehner, …) werden zu 1 der nächstgrößeren Einheit zusammengefasst, größere Einheiten können bei Bedarf aber auch wieder in kleinere aufgelöst werden. Positionsprinzip heißt: Die An- zahl der dezimal gebündelten Einheiten wird stets mit den selben 10 Ziffern notiert, so- dass dieselbe Ziffer je nach Position unterschiedliche Werte repräsentieren kann (vgl. Padberg & Benz 2011). Viele Kinder und Jugendliche verfahren mit mehrstelligen Zahlen aber so, als handle es sich um eine Aneinanderreihung einstelliger Zahlen. Ohne Be- wusstsein der Stellenwerte arbeiten sie Ziffer für Ziffer nach eingelernten Regeln ab (vgl. Verschaffel, Greer & De Corte 2007) und kommen so mit schriftlichen Rechenverfahren oft leidlich zurecht. Sie sind aber häufig damit überfordert, Rechenwege abseits dieser vorgegebener Algorithmen nachzuvollziehen, geschweige denn selbst zu finden. Sie scheitern oft an Aufgaben, die gedankliches Bündeln und Entbündeln fordern (z.B. die Hälfte von 70, 700, 7000… finden; von 3000, 30.000… 10, 100 subtrahieren), und fallen dadurch auf, dass sie keine adäquaten Größenvorstellungen zu mehrstelligen Zahlen entwickeln ( Scherer & Moser Opitz 2010). • Eingeschränkte, nicht tragfähige Grundvorstellungen zu den Grundrechenarten. Ein we- sentliches Ziel der Grundschulmathematik besteht darin, dass Kinder zu den vier Grund- rechenarten differenzierte „Grundvorstellungen“ ( Wartha & Schulz 2011) entwickeln; Gerster und Schultz (2000) sprechen mit ähnlicher Bedeutung von „Operations- verständnis“. Kinder sollen also zu einer Symbolschreibweise wie 3 ∙ 4 und einer Kurz- sprechweise wie „drei mal vier“ jederzeit in der Lage sein, passende Handlungen und Sachsituationen wie auch Darstellungen zu verknüpfen bzw. umgekehrt zu erkennen, durch welche Rechnung eine Abbildung oder Sachsituation (schulisch häufig: Textauf- gabe) „mathematisiert“ werden kann ( Gerster & Schultz 2000). Ein beträchtlicher Teil von Kindern und Jugendlichen hat gerade damit größte Probleme, insbesondere im Bereich des Multiplizierens und Dividierens, auch das weit über die Grundschule hinaus ( Moser Opitz 2013). …und unterschiedliche Ansätze zu deren Erklärung Die (neuro-)psychologische Forschung bespricht solche Phänomene in der Regel als „Symp- tome“ einer zugrundeliegenden „Dyskalkulie“. In quantitativen Studien wird geprüft, ob sta- tistisch signifikante Zusammenhänge mit messbaren Defiziten im Bereich allgemeiner kognitiver Voraussetzungen (Arbeitsgedächtnis, „Verarbeitungsgeschwindigkeit“, räumli- che Wahrnehmung…) bestehen. Ein weiterer, prominenter Forschungszweig sucht nach (hirn-)organisch-neurologischen und genetischen Ursachen (vgl. Landerl & Kaufmann 2013). Sofern sie sich dazu äußern, anerkennen (Neuro-)Psychologinnen und -psychologen durchaus, dass auch nicht-individuelle Faktoren wie etwa (vorschulische) Förderung und schulischer Unterricht Einfluss auf Entstehung und Entwicklung von Lernschwierigkeiten im Mathematikunterricht nehmen (vgl. Landerl & Kaufmann 2013). Festzuhalten ist aber, dass in Begriffen wie „Dyskalkulie“, „Rechenschwäche“ etc. die geschilderten Schwierigkei- ten sprachlich als eine dem Kind zukommende Eigenschaft festgehalten werden, als indivi- duelle Schwäche oder gar Krankheit. Der durch fachdidaktische Forschung angezeigte massive Einfluss schulischer Faktoren (vgl. Gaidoschik 2010; Gaidoschik, Fellmann, Guggen- bichler & Thomas 2017) wird in dieser Denk- und Sprechweise nicht angemessen berück- sichtigt. Um deutlich zu machen, womit wir es aus fachdidaktischer Perspektive zu tun ha-

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