Erziehung und Unterricht 2018/3+4
282 Gaidoschik, Schwächen im Rechnen vorbeugen – durch Mathematikunterricht! Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 ben, hat Schipper (2009) vorgeschlagen, statt von „Rechenschwäche“ etc. besser von „be- sonderen Schwierigkeiten beim Rechnenlernen“ zu sprechen, Meyerhöfer (2011) von „nicht bewältigten stofflichen Hürden“. Pädagoginnen und Pädagogen sollten jedenfalls beachten, dass der Stand der psycho- logischen Forschung zu den Ursachen einer als Quasi-Krankheit verstandenen Dyskalkulie keineswegs einheitlich ist (vgl. Moser Opitz 2013). Mit einiger Sicherheit kann auch nur ein Teil der Kinder und Jugendlichen, die derzeit als massiv leistungsschwach im Mathematik- unterricht auffallen, nach den Kriterien der Psychologie als „dyskalkulisch“ klassifiziert werden. Internationale Vergleichsstudien liefern alarmierende Hinweise dafür, dass in Ös- terreich derzeit etwa ein Fünftel aller Schülerinnen und Schüler im Bereich der elementa- ren Mathematik Defizite anhäufen, die so gravierend sind, dass sie das weitere schulische Lernen und spätere Zurechtkommen in Beruf und Alltag bedrohen (vgl. TIMSS 2011; PISA 2012). Demgegenüber wird in der psychologischen Forschung die „Prävalenz“ von „Dyskal- kulie“ in der Regel mit 5 bis 6 % angegeben (vgl. Landerl & Kaufmann 2013). Die „Diagnos- tik“, die solchen Häufigkeitsmessungen zugrundeliegt, beruht freilich auf letztlich willkür- lich festgelegten, selbst rein quantitativen „Diskrepanzkriterien“, die auch innerhalb der Psychologie umstritten sind (vgl. Landerl & Kaufmann 2013). Fachdidaktische Forschung zeigt zudem, dass mathematisch leistungsschwache Kinder mit und ohne Dyskalkulie- Diagnose sich hinsichtlich der Ausprägung ihrer Schwierigkeiten nicht wesentlich unter- scheiden ( Moser Opitz 2013). Warum Schwächen im Rechnen nicht als Rechenschwäche bezeichnet werden sollten Zweifelsohne gibt es Eltern, die geradezu erleichtert sind, wenn bei ihrem Kind eine „Dys- kalkulie“ diagnostiziert wird. Die Schwierigkeiten, die sie zu diesem Zeitpunkt zumeist schon seit langem als überaus belastend erfahren haben, die sie nicht nachvollziehen konnten, die sie an der Intelligenz und/oder am Lernwillen ihres Kindes haben zweifeln lassen, erhalten damit einen wissenschaftlich klingenden Namen. Für die Bewältigung die- ser Schwierigkeiten ist damit aber nichts getan. Es kann sich im Gegenteil sogar als kont- raproduktiv erweisen, wenn Eltern und/oder Kind aus der Diagnose den Schluss ziehen, dass Gegenmaßnahmen aussichtslos seien. Das sind sie nicht, wie im Folgenden in aller Kürze erläutert werden soll. Pädagoginnen und Pädagogen sollten deshalb ihre Wortwahl im Besprechen von mathematischen Lernschwierigkeiten, Kindern wie deren Eltern ge- genüber, sorgfältig überlegen. Sie sollten jedenfalls deutlich machen, dass und wie gegen solche Schwierigkeiten mit pädagogischen Mitteln vorgegangen werden kann. Auch wenn der Fokus der folgenden Ausführungen auf das Vermeiden von anhaltenden Lernschwie- rigkeiten in Mathematik gerichtet ist, sind die dafür skizzierten Unterrichts maßnahmen auch in der nachträglichen gezielten Förderung zur Überwindung und Linderung bereits entstandener Schwierigkeiten angeraten. Unterricht, der anhaltenden Lernschwierigkeiten vorbeugt Rechnen, ohne zu zählen: Eine Frage von Einsicht in Zahlen und Zusammenhänge Es gibt im Wesentlichen drei Möglichkeiten, nicht-zählend im Kopf (ohne Nutzung weiterer Hilfsmittel) zu addieren und zu subtrahieren. • Abruf automatisierter Rechensätze aus dem Gedächtnis. Wie erläutert, ist diese Variante ein schon im ersten Schuljahr erstrebenswertes Ziel, zumindest im Zahlenraum bis 10. Viele Kinder lösen auch bereits bei Schuleintritt einzelne Aufgaben auf diese Weise, mit- unter ohne tieferes Verständnis für die Bedeutung dessen, was sie sich da gemerkt ha-
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