Erziehung und Unterricht 2018/3+4
Gaidoschik, Schwächen im Rechnen vorbeugen – durch Mathematikunterricht! 283 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 ben. Alle Basisfakten in dieser Weise auswendig zu lernen , wäre eine gewaltige Ge- dächtnisleistung und zumeist wohl eine Überforderung der kindlichen Merkfähigkeit. Es ist aber auch gar nicht erstrebenswert. Die Basisfakten sind ja kein Selbstzweck, sondern sollen Mittel für mathematisches Problemlösen werden. Das setzt Verstehen, Einsicht in Strukturen und Zusammenhänge voraus ( Wittmann & Müller 2017). Gerade solche Ein- sichten ermöglichen aber auch zwei weitere, miteinander eng verknüpfte Alternativen zum zählenden Rechnen: • Ableitung aus einem anderen, bereits automatisierten Rechensatz. Jede bereits automati- sierte Rechnung kann verwendet werden, um andere „abzuleiten“. Aus 3+3=6 folgt, dass 6-3=3. Es folgt aber nur für diejenigen, die den Zusammenhang von Addition und Sub- traktion verstanden haben. Aus 3+3=6 lässt sich auch 3+4=7 (Nachbaraufgabe) ableiten, so wie 2+4=6 (gegensinnige Veränderung bei gleichbleibender Summe). Mathematisch erfolgreiche Kinder denken und rechnen unter Nutzung solcher Zusammenhänge, auch ohne im Unterricht gezielt darin gefördert worden zu sein. Andere Kinder tun dies ohne solche Förderung nicht. Gerade deshalb kommen sie schwer oder gar nicht vom zählen- den Rechnen los ( Gaidoschik 2010). • Ableitung aus einer automatisierten Teile-Ganzes-Struktur. Ob ein Kind Zusammenhänge zwischen Rechnungen versteht und nutzt, hängt eng damit zusammen, wie es Zahlen denkt und verwendet. Beim zählenden Rechnen werden Zahlen als Positionen in der Zahlwortreihe behandelt. „Sieben“ kommt dabei „nach fünf“, die Fünf wird aber nicht als Teil mitgedacht. Die Zahlen stehen vielmehr jeweils für sich. Deshalb wird das Addieren und Subtrahieren zum Vor und Zurück in der Zahlwortreihe ( Gaidoschik 2010). Anders, wenn Zahlen als Zusammensetzungen aus anderen Zahlen gedacht werden ( Gerster & Schultz 2000): Ein Kind, dem zu „sieben“ die Zusammensetzung „fünf und zwei“ einfällt, kann alleine auf dieser Grundlage zumindest zwei Additionen (2+5, 5+2) und zwei Sub- traktionen (7-5, 7-2) in ihrem Zusammenhang verstehen und dann auch nicht-zählend lö- sen. Je mehr solche Teile-Ganzes-Strukturen es zu einer Zahl verinnerlicht hat, umso fle- xibler wird es im nicht-zählenden Verwenden der Zahl ( Gaidoschik & Bayer 2017). Guter Unterricht, der zählendem Rechnen vorzubeugen versucht, berücksichtigt alle drei genannten Varianten des nicht-zählenden Rechnens in angemessener Weise. Grundlegend für das Weitere ist es, in den ersten Wochen und Monaten des ersten Schuljahres abzusi- chern, dass Kinder Zahlen im Sinne des Teile-Ganzes-Konzepts denken und verwenden ( Gaidoschik & Bayer 2017). Erst auf dieser Basis sollten sie mit Rechenaufgaben konfrontiert werden. Rechnen ohne Teile-Ganzes-Verständnis wird zwangsläufig weitgehend zählendes Rechnen sein, „Rechnenüben“ wird damit zum Einüben genau der Strategie, die es im Inte- resse der weiteren mathematischen Lernentwicklung zu überwinden gilt. Methodisch bewährt hat sich zum Aufbau und zur Festigung von Teile-Ganzes-Denken die intensive Arbeit mit Zahldarstellungen im Zehnerfeld (je zwei Reihen zu fünf Quadra- ten, die mit 0 bis 10 Kreisen oder Plättchen belegt werden können; Wittmann & Müller 2017), aber auch die nicht-zählende Verwendung der Finger ( Gaidoschik & Bayer 2017). Bei- de Formen der Zahldarstellung betonen die besonders wichtigen Zusammensetzungen von 6 bis 10 als „5 + x“ („Kraft der fünf“, Wittmann & Müller 2017). Bei den Zahlen bis 4 kann der Bezug zur 5 gut thematisiert werden, bei allen Zahlen bis 9 der Bezug zur 10. Damit Kinder diese Strukturen und Beziehungen erkennen und in weiterer Folge nutzen, sind intensive Übungen im nicht-zählenden Erkennen wichtig („Blitzblick“, Gerster & Schultz 2000). Von besonderer Bedeutung ist dabei das Verbalisieren („Wie hast du so schnell gesehen, dass das 8 sind?). Finger bieten den Vorteil, dass Kinder auch zum nicht-zählenden Zeigen von
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