Erziehung und Unterricht 2018/3+4
284 Gaidoschik, Schwächen im Rechnen vorbeugen – durch Mathematikunterricht! Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 und Handeln mit Anzahlen („Nimm 5 weg, ohne zu zählen!“) aufgefordert werden können und sie diese nicht nur visuell, sondern auch über den Körpersinn wahrnehmen ( Gaidoschik & Bayer 2017). Bereits beim Arbeiten am Teile-Ganzes-Denken geht es – auf Basis des Verständnisses von Zahlstrukturen – auch um gezieltes Automatisieren. Für die weiteren Schritte sollten Kinder nicht nur verstanden haben, dass etwa die Zahl acht unter anderem aus fünf und drei besteht. Sondern es sollte für sie mehr und mehr selbstverständlich werden, bei acht auch an fünf und drei zu denken , ohne dafür eine Darstellung zu benötigen. Das erfordert für manche Kinder geduldiges, konsequentes Üben, welches sich freilich in weiterer Folge bezahlt macht. Aus automatisierten Zahlentripeln (z.B. „8 ist 5 und 3“) können nämlich, wie dargestellt, Additionen und Subtraktionen nicht-zählend abgeleitet werden (z. B. 5+3, 3+5, 8-5, 8-3) ( Gaidoschik 2010). Damit diese Möglichkeit von möglichst allen Kindern einer Klasse auch wirklich genutzt wird, bedarf es freilich erneut gezielter und konsequenter Thematisierung im Unterricht ( Gaidoschik 2007; Gaidoschik & Bayer 2017). Dasselbe gilt für den oben erläuterten zweiten Typus von Ableitungsstrategien auf Basis bereits automatisierter Zahlensätze. Auch hier zeigt sich die Notwendigkeit, die Arbeit am Verständnis von Zusammenhängen mit gezielter Automatisierung zu kombinieren. Strate- gien wie „Nachbaraufgabe“ (z.B. aus 6+6=12 folgt 6+7=13) und „Umkehraufgabe“ (aus 6+6=12 folgt 12-6=6) werden bei geeigneter Erarbeitung (Hinweise dazu etwa bei Gaido- schik 2007) in der Regel auch von Kindern mit ungünstigen Lernvoraussetzungen gut ver- standen. Freilich erfordert das von der Lehrkraft Konsequenz, ja Hartnäckigkeit im Einfor- dern von Verbalisierungen: Kinder sollten immer wieder aufs Neue aufgefordert werden, ihre Strategien zu erläutern und über nicht-zählende Möglichkeiten der Lösungsfindung nachzudenken ( Gaidoschik et al. 2017). Um solche Strategien dann auch selbständig an- wenden zu können, müssen Kinder aber einige „Kernaufgaben“ als Ausgangspunkt fürs Ab- leiten bereits automatisiert haben. Für den Unterricht folgt daraus, dass diesen Aufgaben (Verdoppelungen, Additionen des Typs a+b=10, Additionen des Typs a+1/1+a) und deren Umkehraufgaben im Unterricht besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss ( Gai- doschik 2007). Erfolg mit zwei- und mehrstelligen Zahlen: Eine Frage von Einsicht ins Dezimalsystem Auch die einleitend festgehaltenen Probleme vieler Kinder mit zwei- und dann mehrstelli- gen Zahlen sollten aus fachdidaktischer Sicht zuallererst zum Anlass genommen werden, um den Unterricht kritisch zu reflektieren ( Fuson 1990). Padberg und Benz (2011) warnen davor, die Schwierigkeiten zu unterschätzen, die für Kinder mit der Aneignung des Dezi- malsystems verbunden sind; schließlich hat die Menschheit viele Jahrhunderte benötigt, um diese zwar überaus effiziente, aber hochabstrakte Zahlenschrift zu entwickeln. Gerade auch in diesem Inhaltsbereich der Grundschulmathematik besteht die große Gefahr, sich vom „prozeduralen Wissen“ von Kindern darüber hinwegtäuschen zu lassen, dass ihr „kon- zeptuelles Wissen“ (noch) nicht adäquat ist, und deshalb zu wenig für den Aufbau und die Festigung von solchen Konzepten zu unternehmen (vgl. Gerster & Schultz 2000). Prozedurales Wissen zeigt sich darin, dass Kinder Prozeduren (Abläufe) beherrschen lernen, wie etwa das Lesen und Schreiben zweistelliger Zahlen. Gerade das ist für viele auf- grund der Verdrehung der Zahlwortbildung gegenüber der Ziffernschreibweise (34 wird drei-vier geschrieben, vier-und-drei-ßig gesprochen) eine große Hürde, die aber in der Re- gel durch Übung überwunden werden kann ( Padberg & Benz 2011). Kinder lernen, wenn es im Unterricht Thema ist, zumeist auch relativ problemlos, dass es „Zehner“ und „Einer“ gibt,
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