Erziehung und Unterricht 2018/3+4
Gaidoschik, Schwächen im Rechnen vorbeugen – durch Mathematikunterricht! 285 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 für welche Stelle diese „Namen“ verwendet werden müssen, und wie man zweistellige Zah- len mit Stangen und Würfel darstellen kann. Wie erläutert, lernen sie üblicherweise ohne weiteres, wie mehrstellige Zahlen Ziffer für Ziffer zu addieren und subtrahieren sind. Das sagt aber nichts darüber aus, ob sie „Zehner“, „Hunderter“ etc. als gebündelte Einheiten denken und dieses Konzept flexibel zur Lösung von Aufgaben einsetzen können. Es sagt auch nichts darüber aus, ob und welche Größenvorstellungen sie mit solchen Ziffernfolgen verbinden und ob sie Größenbeziehungen zwischen Zahlen korrekt erfassen. Wie man den Aufbau und die Festigung adäquater Konzepte zu mehrstelligen Zahlen im Unterricht bestmöglich unterstützen kann, ist bislang durch empirische Forschung leider wenig abgesichert ( Gaidoschik 2015b). Aus stoffdidaktischer Sicht scheint Folgendes von zentraler Bedeutung zu sein (vgl. Gaidoschik 2015b; Scherer & Moser Opitz 2010): • Kinder müssen genügend Zeit und Gelegenheit erhalten, Bündelungen und vor allem auch Entbündelungen mit Material selbst vorzunehmen und dies zur möglichst selbst- ständigen Lösung von geeigneten Aufgaben einzusetzen. In Schulbüchern sind gerade Aufgaben, die Entbündelungen fordern (z.B. „Halbiere 70!“) oft unterrepräsentiert, ihr besonderer Charakter (z.B. fordert „78 minus 5“ keine Entbündelung, „70 minus 5“ jedoch schon) wird für Kinder nicht ausreichend deutlich gemacht, Lösungen werden mitunter kleinschrittig eingeübt und damit die Chance vergeben, dass Kinder beim selbstständi- gen Suchen nach einer Lösung („um 70 halbieren zu können, muss ich von den 7 Zehner- stangen eine in Einer umtauschen“) ein vertieftes Verständnis fürs Dezimalsystem erlan- gen ( Gaidoschik 2015b). • Die verdrehte Zahlensprechweise muss expliziter und ausführlicher thematisiert werden, als dies derzeit vermutlich oft passiert. Mit unverstandenen Regeln und Tricks ist hier langfristig nichts gewonnen. So werden etwa Kinder, die sich eine verdrehte Schreib- weise für zweistellige Zahlen angewöhnen, also zuerst die Einer, dann links davon die Zehner notieren, auf diese Weise vielleicht das Zahlenschreiben in den Griff bekommen, später aber vermutlich umso mehr Probleme haben, Zahlen in Tastaturen einzugeben. Eine nachhaltige Lösung der mit der verdrehten Zahlwortbildung verbundenen Schwie- rigkeiten kann nur gelingen, wenn Kinder Bündelungs- und Positionsprinzip verstanden haben und es sich auf dieser Grundlage zur Gewohnheit machen, Zahlwörter nach Stel- lenwerten zu analysieren ( Gaidoschik 2015b; Schipper 2009). • Gerade für den „Aufbau des Zahlenraums bis 100“ bieten Schulbücher und Lehrmittel- handel eine Fülle von Veranschaulichungen, von den genannten Zehnerstangen und Ei- nerwürfeln über Hundertertafel, Hunderterfeld, Zahlenstrahl zu Rechengeld und weite- ren Versuchen, Kindern das Verstehen zweistelliger Zahlen zu erleichtern. Tatsächlich zeigt fachdidaktische Forschung, dass jede dieser Veranschaulichungen zunächst einmal für sich selbst verstanden werden muss. Die den Darstellungen innewohnenden dezima- len Strukturen sind nicht selbsterklärend, sie müssen von Kindern erst aktiv erarbeitet, können auch missverstanden werden. Solche Missverständnisse werden geradezu pro- voziert, wenn zu viele strukturell unterschiedliche Darstellungen in rascher Abfolge ein- geführt und mitunter auch didaktisch nicht zielführend eingesetzt werden. So ist es ein didaktischer Fehler, die Hundertertafel (ein Quadrat aus 10 mal 10 kleinen Quadraten, die von links oben nach rechts unten mit den Zahlen von 10 bis 100 beschriftet sind) für die „Orientierung im Zahlenraum“ einzusetzen. An der Hundertertafel sind etwa 60 und 70 unmittelbar benachbart, 61 ist näher bei 51 als bei 60, und so weiter. Zahlenraumvorstel- lungen, die langfristig hilfreich sind, weisen eine lineare Struktur auf; hierfür sollte also am Zahlenstrahl gearbeitet werden, der freilich sorgfältig erarbeitet werden muss. An-
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