Erziehung und Unterricht 2018/3+4
Gunesch, Notwendigkeit von mathematischem Fachwissen 297 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 Schrägrisse aus der eigenen Schulzeit kennen, sondern auch fortgeschrittenere geometrische Themen wie Zentralprojektion beherrschen. Um Fragen besonders talen- tierter Schülerinnen und Schüler beantworten zu können, ist es für Lehrpersonen hilfreich, auch Rotationsmatrizen und Transformationsabbildungen zu kennen – die kommen näm- lich in gängigen Programmier-Tutorials vor, und moderne Programmierumgebungen wie Scratch machen entsprechende Computerprogrammierung auch für Schülerinnen und Schüler der Primarstufe zugänglich. Geometrie-Fehler in Schulbüchern Das Thema Geometrie scheint sogar für Schulbuchverlage noch eine Herausforderung zu sein; eine Untersuchung von zwei österreichischen Schulbuchreihen in Mathematik zeigte in über 20 % der räumlichen Darstellungen Fehler (vgl. Schulze 2014, Schulze 2015). Visuelle Mathematik Der Begriff Visuelle Mathematik bedeutet hier, dass die wesentliche Sprache, die zur Ver- mittlung von mathematischen Sachverhalten, Ideen, Konzepten und Einsichten benutzt wird, eine visuelle Sprache ist, statt gesprochenen oder geschriebenen Worten der deut- schen Sprache und auch anstatt Formelsprache (vgl. Gunesch 2016 für eine ausführliche Erläuterung des Konzeptes Visuelle Mathematik mit Beispielen). Der Autor dieses Artikels ist der Meinung, dass das Thema Visuelle Mathematik für die Volksschule gut geeignet ist, um klare Denkweisen zu vermitteln und einzuüben. Fraktale Geometrie Das Thema Fraktale ist ein anregendes. Mit einfachen mathematischen Mitteln können interessante (detailreiche und ästhetische) Muster produziert werden, welche Schülerin- nen und Schüler faszinieren können, wie z.B. das Sierpiński -Dreieck (vgl. z.B. Mandelbrot 1983, S. 170). Es gibt auch weiterführende Beziehungen zwischen fraktaler Geometrie und modernen technischen Konstruktionen wie Mobiltelefonantennen. Fachwissen in Mathematik ist bleibendes Wissen Was Mathematik speziell auszeichnet und von praktisch allen anderen Wissenschaften abhebt, ist die Tatsache, dass mathematisches Wissen erstens niemals veraltet (d.h. ewig hält) und zweitens von unbestreitbarer Wahrheit ist, die es außerhalb der Mathematik kaum gibt (vgl. Aigner & Ziegler 2014, Beutelspacher 1991). Der Satz von Pythagoras, Jahr- tausende alt, ist immer noch wahr und wird es auch bleiben. Das gilt sogar für alle be- wiesenen mathematischen Aussagen (d.h. solche, die mit einem korrekten Beweis aus Axiomen folgen). In anderen Wissenschaften (und den meisten Bereichen des Lebens) gilt das in der Regel nicht: Es gibt dort keine absolute Wahrheit, sondern nur Modelle, die die Welt beschreiben und die früher oder später durch andere Modelle ersetzt werden. Nicht viel von dem, was z.B. die antiken Griechen in Physik, Chemie, Astronomie und weiteren Wissenschaften annahmen, gilt heute noch. Die antiken Wissenschaftler waren zwar auch scharfsinnig, dennoch sind ihre Erkenntnisse größtenteils überholt. Und viele Wissen- schaften, die heute sehr relevant sind (z.B. Informatik, Genetik, Neurowissenschaften), wa- ren gar nicht vorhanden. Insofern ist es wirklich bemerkenswert, dass mathematische Er- kenntnisse praktisch unendlich lange ihre Gültigkeit behalten. Welche Konsequenz hat diese Ewigkeit und Wahrheit von mathematischem Wissen? Es bedeutet, dass mathematisches Fachwissen während des ganzen Lebens immer wieder
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