Erziehung und Unterricht 2018/3+4
298 Gunesch, Notwendigkeit von mathematischem Fachwissen Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 und immer weiter nützlich sein kann, auch wenn sich die Welt um uns herum noch so ändert. Dass z.B. ein geworfener Ball an der Stelle der Flugbahn, wo er am höchsten ist, sich genau horizontal bewegt, ist eine unmittelbare Folge aus dem mathematischen Satz über die Ableitung differenzierbarer Funktionen an Extremwerten. Die genaue Formulierung, das Thema Differenzierbarkeit und der Beweis dieses mathematischen Satzes passen zwar nicht in den Volksschulunterricht, aber die Folgerung für Bälle passt durchaus dorthin. Es gibt auch (mathematisch korrekte) Beweise, die auch von jungen Schülerinnen und Schü- lern nachvollzogen und verstanden werden können, insbesondere Visual Proofs (vgl. z.B. Nelson 1993, Nelson 2000, Bardelle 2009). Verwendung von Zahlen jenseits von simplem Rechnen, funktionale Zusammenhänge, Koordinaten Fundamental wichtig zu verstehen sind die Konzepte Werte, Tabelle, Zuordnung, Funktion, Messung(en), Funktionsgraph. Diese werden in Schulbüchern auch ausgiebig erklärt. Koordinaten sind ein wichtiger Begriff in der technischen Welt. Raumkoordinaten erscheinen Schülerinnen und Schülern vor allem dann als sinnvolles Konzept, wenn sie an konkreten Beispielen vorgezeigt werden, z.B. einem Roboterarm, der zu einer vorgegebe- nen Position bewegt werden soll. Im Roboter-Beispiel wird also Mathematik verwendet, um ein mechanisch-technisches System sinnvoll einzusetzen. Auch in fast allen anderen technischen/informatischen Systemen ist Mathematik all- gegenwärtig. Oft werden Objekte mit Zahlen repräsentiert, so können insbesondere Buch- staben als Zahlen gespeichert werden, z.B. mit der UTF-8- Codierung. Modelle der Welt, dynamische Systeme, Verstehen von Zusammenhängen Modellierung Die gesamte Welt verstehen zu wollen, ist natürlich ein hoffnungslos komplexes Unterfan- gen. Nichtsdestotrotz existieren mächtige mathematische Werkzeuge, die einen Teil der Welt verständlich machen und die sinnvolle und quantitative Vorhersagen erlauben. Die Theorie der dynamischen Systeme beschreibt die Welt als Zustände und Regeln zur Verän- derung des aktuellen Zustands („Zeitverlauf“) (vgl. z.B. Hasselblatt & Katok 2003). Z.B. kann ein solcher Zustand aus Zahlen bestehen und eine solche Veränderungsregel aus einer For- mel/Rechenregel, die aus den aktuellen Zahlwerten neue berechnet. Solche Modelle wer- den in vielen Situationen eingesetzt, u.a. zur Wettervorhersage, zur Simulation von Plane- tenbahnen, in der Biologie (Populationsdynamik), für finanzielle Vorhersagen und für viele weitere Bereiche. Das Thema Mathematik und Finanzen verknüpft auch in interessanter Weise einfache und volksschultaugliche Rechnungen mit komplexen Phänomenen, von de- nen zumindest manche sich dafür eignen, dass eine Lehrperson etwas dazu erklären könn- te. Komplexität in dynamischen Systemen Dynamische Systeme sind oft der Lage, aus einfachen Regeln sehr komplexe Verhaltens- weisen zu produzieren, was für das Verstehen von komplexen Zusammenhängen in der realen Welt sehr lehrreich ist. Z.B. besteht das sehr einfache Game of Life von John Conway (vgl. Gardner 1970) aus einem Gitter von Punkten („Zellen“), die jeweils nur zwei mögliche
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=