Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

109 Aufklärung (1720–1770) Maturaraum 6 Für Ihre schriftliche Reifeprüfung/Reife- und Diplomprüfung Zweimal Erdbeben Verheerende Naturkatastrophen, nicht nur das Erdbeben von Lissabon, werden auf vielfältige Weise Thema von Texten, wie etwa von Memoiren, Erinnerungen, wissenschaftlichen Analysen. Auf andere Weise wiederum meldet sich zu solchen Ereignissen jemand zu Wort, der Katastrophen für den „Beweis“ seiner Weltanschauung oder seiner religiösen Überzeugung benützen und instrumentalisieren will. Thema: Katastrophen und ihre Deutung Aufgabe 1: Johann Wolfgang von Goethe: Das Erdbeben von Lissabon Verfassen Sie eine Textanalyse. Lesen Sie den folgenden Ausschnitt aus Goethes autobiographischem Werk „Dichtung und Wahrheit“, entstanden 1811, in dem er, aus einem Abstand von mehr als sechs Jahrzehnten, den Eindruck rekonstruiert, den das Erdbeben von Lissabon als Kind auf ihn gemacht hat. Verfassen Sie nun die Textanalyse und bearbeiten Sie dabei die folgenden Arbeitsaufträge: ■■ Geben Sie Goethes Eindrücke und Gedanken zum Erdbeben wieder. ■■ Untersuchen Sie den Aufbau und die sprachliche Gestaltung des Textes. ■■ Bestimmen Sie die von Goethe dargestellten weltweiten und auf ihn persönlich einwirkenden Folgen des Erdbebens. Schreiben Sie zwischen 540 und 660 Wörter. Johann Wolfgang von Goethe: Das Erdbeben von Lissabon Durch ein außerordentliches Weltereignis wurde je- doch die Gemütsruhe des Knaben zum ersten Mal im Tiefsten erschüttert. Am ersten November 1755 er- eignete sich das Erdbeben von Lissabon und verbrei- tete über die in Frieden und Ruhe schon eingewohnte Welt einen ungeheuren Schrecken. Eine große präch- tige Residenz, zugleich Handels- und Hafenstadt, wird ungewarnt von dem furchtbarsten Unglück be- troffen. Die Erde bebt und schwankt, das Meer braust auf, die Schiffe schlagen zusammen, die Häuser stür- zen ein, Kirchen und Türme darüber her, der königli- che Palast zum Teil wird vom Meere verschlungen, die geborstene Erde scheint Flammen zu speien: denn überall meldet sich Rauch und Brand in den Ruinen. Sechzigtausend Menschen, einen Augenblick zuvor noch ruhig und behaglich, gehen mit einander zu- grunde, und der glücklichste darunter ist der zu nen- nen, dem keine Empfindung, keine Besinnung über das Unglück mehr gestattet ist. Die Flammen wüten fort, und mit ihnen wütet eine Schar sonst verborg- ner, aber durch dieses Ereignis in Freiheit gesetzter Verbrecher. Die unglücklichen Übriggebliebenen sind dem Raube, dem Morde, allen Misshandlungen bloßgestellt; und so behauptet von allen Seiten die Natur ihre schrankenlose Willkür. Schneller als die Nachrichten hatten schon Andeutungen von diesem 5 10 15 20 25 Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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