Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

140 verbannt und zu ewigem Durst verurteilt. Im Fluss ste­ hend, kann er das Wasser nicht erreichen, es weicht zurück, wenn er trinken will. Der Fluch lastet auf sei­ nem ganzen Geschlecht. Die Letzte in der Kette ist Iphigenie. Ihr Vater Agamemnon opfert sie, um günsti­ gen Wind für seine Flotte zu bekommen, die zum Kampf gegen Troja aufbrechen will. Doch die Göttin Artemis rettet Iphigenie. Sie ersetzt Iphigenie im Mo­ ment des Opfers durch eine Hirschkuh und entführt sie zu den Taurern. Der Fluch der Tantaliden II Auf Tauris herrscht der Skythenfürst Thoas. Auf seine Anordnung muss Iphigenie als Artemispriesterin je­ den Fremden opfern. Orest ist mit seinem Freund Pyla­ des nach Tauris gekommen, denn Apoll hat ihm aufge­ tragen, das „Bild der Schwester“ von Tauris nach Grie­ chenland mitzubringen. Nur so könne er von den Ra­ chegöttinnen, den Erinnyen (Furien), befreit werden, die ihn plagen, weil er seine Mutter Klytämnestra er­ mordet hat. Klytämnestra hatte nämlich ihren Mann Agamemnon bei dessen Heimkehr aus Troja getötet. Orest meint, es handle sich um das Bild der Schwester Apolls, der Artemis (Diana), das er heimzubringen hat und das er in Tauris stehlen muss. Iphigenie erkennt Orest. Zerrissen zwischen dem Gebot des Thoas, Frem­ de zu töten, und der Liebe zum Bruder, scheint Iphige­ nies Lage aussichtslos. Euripides: Iphigenie und Orest täuschen Thoas Um 412 v. Chr. hatten die drei großen antiken Tragiker Aischylos, Sophokles und Euripides den Auftrag be­ kommen, ein Iphigenie-Drama zu schreiben. Nur das Drama des Euripides ist erhalten. Die Lösung des Kon­ flikts bei Euripides: Iphigenie und Orest, die nach Grie­ chenland zurückkehren wollen, scheuen zwar vor ei­ nem möglichen Mord an Thoas zurück, Thoas wird von ihnen aber getäuscht und überlistet. Mit Hilfe der Göt­ tin Pallas Athene gelingt die Flucht. Anders Goethe: Menschlichkeit siegt Goethes Iphigenie befindet sich in einer Zwangslage. Entweder sie gehorcht dem Gebot von Thoas, opfert ihren Bruder und setzt damit die Kette der Verwand­ tenmorde der Tantaliden fort. Oder sie übertritt das Gebot, täuscht Thoas und flieht mit Orest. Verzweif­ lung erfasst Iphigenie, Zweifel an den Göttern. Sie scheinen ihr willkürlich die Menschen ins Unglück zu stürzen: Es fürchte die Götter Das Menschengeschlecht! Sie halten die Herrschaft In ewigen Händen, Und können sie brauchen, Wie’s ihnen gefällt. Eine Tragödie bahnt sich an. Doch die drohende Kata­ strophe kann durch die Humanität der Personen abge­ wendet werden. Zwar bringen Orest und Pylades das Bild der Artemis an sich und treffen die Vorbereitun­ gen zur Flucht, doch Iphigenie sucht den Weg der Ehr­ lichkeit. Sie will Thoas ihr Anliegen vorbringen, mit Orest und Pylades das Land zu verlassen. Thoas wird von der Wahrhaftigkeit Iphigenies überzeugt und lässt die Griechen ziehen. Humanismus kann Grenzen über­ winden, auch der „Barbar“ Thoas lässt Milde walten. Orest selbst hat erkannt, dass er nicht die Statue der Göttin, sondern die eigene Schwester heimbringen sollte. „Ganz verteufelt human“ nannte Goethe das Stück in einem Brief an Schiller. Es sei „erstaunlich mo- dern“ , schrieb Schiller zwei Tage später zurück. ■■ Lesen Sie das Gespräch zwischen Thoas, Iphigenie und Orest und bestimmen Sie folgende Gesprächsabschnitte: –– Iphigenie informiert Thoas über den Flucht­ versuch. –– Iphigenie erklärt Thoas die Gründe für den Raub des Bildes der Diana (= Artemis) durch Orest. –– Thoas gibt zu bedenken, dass er ja ein „Barbar“ sei und auch die „zivilisierten“ Griechen nicht immer human handelten. –– Das „Bild der Schwester“ wird zum neuer­ lichen Hindernis, doch Orest klärt Thoas auf, dass damit nicht das Bild der Schwester Apolls gemeint sei, sondern seine eigene Schwester Iphigenie. –– Iphigenies Bitte um freundlichen Abschied und Thoas’ Reaktion. ■■ Fassen Sie nun das Gespräch mündlich zusammen. 2 4 6 Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=