Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

268 Symbolismus, Impressionismus, Fin de Siècle, Wiener Moderne (1890–1920) Die Literaturübersicht Schreiben im Spannungsfeld zwischen Kunst und Realität Das „Nervöse“ muss in die Literatur Bahnbrechend für die Literatur der Wiener Moderne ist Hermann Bahr. 1891 erschien sein Essay „Die Über­ windung des Naturalismus“. Für Bahr soll der Künstler „nicht länger ein Werkzeug der Wirklichkeit sein“ . Die neue Literatur müsse sensibel sein, das „Nervöse“ des Menschen zur Sprache bringen. Mit dem „Nervösen“ meint Bahr das Seelenleben des Menschen, seine psy­ chischen Zustände. So kehrt die „verlorene Freude in die Kunst zurück. Die Gefangenschaft im Äußeren und die Knechtschaft unter der Wirklichkeit machten den großen Schmerz. […] Aber jetzt wird eine jubelnde Be- freiung […] sein.“ Die Kultivierung der Sensibilität bleibt ein Privileg Die feine Beobachtung des Innenlebens, das Genie­ ßen ästhetischer Sinneswahrnehmungen brauchen auch eine soziale Grundlage, und zwar eine gesicherte Existenz. Wer sich täglich um das Überleben sorgen muss, kann seinen Sinn für das Schöne wenig trainie­ ren. Es ist deshalb nicht überraschend, dass fast alle Autoren des Fin de Siècle aus den mit Kunst und Lite­ ratur traditionell vertrauten, „kultivierten“ Schichten des wohlhabenden Bürgertums kommen. Aufgrund ihrer finanziellen Basis mussten die Autoren meist auch nicht auf Verkauf und Publikumswirkung ihrer Werke zielen. Die Kultivierung des Ästhetischen ver­ band sich auch nicht selten mit Naivität gegenüber sozialen und politischen Fragen. Die Demonstration und der Dichter Am 1. Mai 1890 fanden in Wien erstmals Demonstratio­ nen von Arbeitern und Arbeiterinnen statt, die „acht Stunden Arbeit, acht Stunden Erholung, acht Stunden Schlaf“ pro Tag forderten. Über 100.000 versammelten sich am Nachmittag im Prater, der sonst zu dieser Zeit Ort eines adeligen Blumenkorsos war, obwohl ihr Fern­ bleiben von der Arbeit als „Vertragsbruch“ und Entlas­ sungsgrund galt. Der 16-jährige Gymnasiast Hugo von Hofmannsthal kommentierte die Versammlung in ei­ nem spontanen Gedicht so: Wien, 1. Mai 1890, Prater, gegen 5 Uhr nachmitt. Tobt der Pöbel in den Gassen, ei, mein Kind, so lass ihn schrei’n. Denn sein Lieben und sein Hassen ist verächtlich und gemein! Während sie uns Zeit noch lassen, wollen wir uns Schönerm weih’n. Will die kalte Angst dich fassen, spül sie fort mit süßem Wein! Lass den Pöbel in den Gassen: Phrasen, Taumel, Lügen, Schein, Sie verschwinden, sie verblassen. Schöne Wahrheit lebt allein! 2 4 6 ■■ Beschreiben Sie die seelische Grundstim­ mung des Autors und erläutern Sie, welche Funktion für ihn „Schönheit“ und „Schöne Wahrheit“ der Kunst haben. ■■ Interpretieren Sie den Anfang von Vers 3. ■■ Kommentieren Sie die Bezeichnungen, mit denen der Autor die Arbeiter/Arbeiterinnen und die Versammlung benennt! Der innere Monolog Wie gibt man das „Nervöse“ , das Innenleben am un­ mittelbarsten wieder? Einer der „Erfinder“ der neuen Schreibweise, die ins Innerste der Figuren sieht, ist Arthur Schnitzler. Gedanken, Assoziationen, Eindrücke werden in einem inneren Monolog wiedergegeben. Der Bewusstseinsstrom der Figuren wird vom Erzähler weder unterbrochen noch kommentiert. „Paradebei­ spiel“ für diese Technik ist die Novelle „Leutnant Gustl“ von Arthur Schnitzler (1) . Oft bezieht sich die Darstel­ lung des Innenlebens der Personen auf erotische, se­ xuelle Motive. Beispiele dafür sind Erzählungen wie Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus - Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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