Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

419 Gegenwartsliteratur – mit Österreichschwerpunkt 13 „Ich muss nur die Praterhauptallee hinauf- und hinunterrennen, dann kann ich das Schokoeis von heute Nacht vergessen!“ Marlene Streeruwitz: „Jessica, 30.“ (2004) 91 Seiten in einem Satz In drei Kapitel gliedert Marlene Streeruwitz ihren Ro­ man. Kapitel eins besteht aus einem 91 Seiten langen ununterbrochenen Ein-Satz-Monolog Jessicas. Kapitel zwei: 84 Seiten, die Hälfte ein innerer Monolog Jessicas, die andere Hälfte ein Dialog mit Gerhard, ihrem verhei­ rateten Liebhaber, einem Politiker in hoher Stellung. Kapitel drei: 80 Seiten, ein innerer Monolog Jessicas in einem Satz, kein Absatz, nur Beistriche. Die Form ist perfekt dem Thema angepasst. Jessica denkt über ihre Rolle in der Gesellschaft nach. Sie ist Journalistin bei ei­ nem Lifestyle-Magazin, dessen Redaktionsteam, gelei­ tet von den einstigen WG-Freundinnen Claudia, Mia und Tanja, für Jessica nichts als eine „Tussenriege“ ist. Jessi­ ca – sie selbst nennt sich Issi – ist intelligent genug, um zu erkennen, dass Beruf, Männerwelt und Gesellschaft einer Frau drei Aufgaben zuschanzen: Attraktivsein, Funktionieren, Konsumieren. Jessicas Dilemma: Trotz ih­ res Durchblicks möchte sie genau so sein, wie man sie sehen will: schön, erfolgreich, anerkannt, reich. Kapitel eins: Jessica läuft, denn Laufen macht schön Jessica Somner, so heißt sie mit vollem Namen, läuft. Tat­ sächlich ist es von dem Lifestyle-Magazin, in dem sie arbeitet, nicht weit zur „Bravo“-Kolumne des Dr. Sommer mit ihren banalen Antworten auf die „Sexualprobleme“ Jugendlicher. Erfolgversprechender als kritischer Journa­ lismus scheinen auch ihr Sexratgeber, wie einer, „den die Schauspielerin von ‚Sex and the City‘ mit ihrem Mann ge- schrieben hat“ . Doch beim gewohnten Laufen pendelt Jessica nicht nur zwischen Prater und ihrem Auto hin und her, sondern auch zwischen den Versuchen zur Selbstbestimmung und dem Anpassungsdruck an die Gesellschaft. In „Jessica, 30.“ geht es um ein Kernthema von Marlene Streeruwitz: Ist es möglich, als Frau ein ei­ genes Leben zu führen, oder muss man sich den Wün­ schen der anderen unterwerfen? ■■ Lesen Sie dazu die folgenden Stellen aus Jessicas Monolog während des Laufens, der Rückkehr in die Wohnung und ihrer Vorberei­ tung auf eine Redaktionssitzung. ■■ Erläutern Sie die Rollenanforderungen, denen Jessica gerecht werden muss, um eine „erfolgreiche“ Frau zu sein, und welche persönlichen Wünsche diesen Anforderungen unterzuordnen sind. ■■ Bestimmen Sie, an welchen Stellen der Konkurrenzdruck, dem die Frauen ausgesetzt sind, besonders deutlich wird. Alles wird gut, ich muss nur die Praterhauptallee hinauf- und hinunterrennen und dann ist wieder alles gut, dann kann ich das Schokoeis von heute Nacht und das Essen von Weihnachten vergessen […] und warum ist es nicht schon eine Stunde später und jetzt geh endlich, zieh den Mantel aus und steig aus dem Auto, Jessica Somner, reiß dich zusammen, du hättest ja das Eis nicht essen müssen, Issi, heute Nacht, und was für eine Idee, dieses Schokoeis und dann noch eine ganze Packung Mövenpick Maple Walnut und wenn die Dose Schlagobers nicht ausgegangen wäre, hätte ich die auch ganz gegessen und hast du das notwendig, ich meine, es ist gerade nicht alles so toll, aber deswegen gleich in die Fettsucht, der Ausgleich für mangelnde Sexualität kann es nicht sein […] […] ich gehe erst um 9 Uhr aus, da kann man immer sagen, dass man schon gegessen hat, aber dann landen wir im Engländer und ich esse doch wieder ein Schnitzel, ich darf den Tag über nichts essen für Porträt Marlene Streeruwitz, Foto, 2012 Aufgabe 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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