Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

421 Gegenwartsliteratur – mit Österreichschwerpunkt 14 „Der Kampf gegen mich ist aussichtslos.“ Lydia Mischkulnig: „Macht euch keine Sorgen. Neun Heimsuchungen“ (2009) Der freundliche Beginn Neun Kurzgeschichten aus dem Alltag erzählt Lydia Mischkulnig in ihrem Band „Macht euch keine Sorgen. Neun Heimsuchungen“. Jede dieser Erzählungen be­ ginnt scheinbar harmlos, manchmal sogar idyllisch, so auch der Text „Die Firma“: „ Ich bin eine Firma – und, wie jeder sehen kann, erfolgreich. Ich bestehe aus drei Etagen zu je elf Zimmern mit je zwölf Arbeitsplätzen. […] Ich zahle gut.“ Das Ende mit Schrecken Doch was so idyllisch begonnen hat, mündet in absur­ den Schrecken, der sich zeigt, wenn „Die Firma“ zum Beispiel die Anforderungen an ihre Arbeitskräfte so formuliert: Ich neige wieder mehr dazu, Männer einzustellen, da Frauen häufiger ausfallen. Kaum eingestellt und ausgebildet, melden sie eine Schwangerschaft und man kann sich neu umsehen. […] Leider bringt Zwang keine Lösung. Bei den Frauen kann man das seit Jahrtausenden erkennen. Sie erziehen die Kinder immer schlechter. Heute ernähren sie sie auch immer schlechter. Immer fettere Gestalten wollen bei mir anheuern. Mich ekelt vor dem Fett, das die faule Haut ausdehnt, vor den Frauen, die sie mit dem eingespeichelten Trostfood ausstopfen und mich bevöllern. […] Ich stelle die Fettsäcke nicht gern an. […] Am Eingang der Firma habe ich eine Waage aufgestellt. Über diese Waage geht jeder sich als arbeitswillig bezeichnende Vorstellige. Die Waage ist im Boden versteckt eingelassen und ich kann das Gewicht auf meinem Computer ablesen. Meiner Erfahrung nach ergeben zehn Prozent über dem Idealgewicht eines Körpers den Idealkörper für meine Firma. Diese Körper sind selten dick, aber auch nicht schlank. Die Wohlstandsträgheit hat bei ihnen noch nicht angefangen. Wöchentlich kontrolliere ich auch das Gewicht der Angestellten, wenn sie die Firma verlassen, und errechne mir so die Fress- und Disziplinleistung aus der Differenz zwischen Montag und Dienstag. Freilich werden auch die Entleerungszeiten bzw. -gewichte geschätzt und einkalkuliert. Wer zu viel drauf hat, wird zu einem Gespräch geladen. Wer zu wenig drauf hat eben- falls. Dann versuche ich ins Gewissen zu reden, […] was selbst dürre Gestalten, die nichts von sich hergeben und nichts annehmen wollen, alles für sich behalten und nichts austauschen, erweichen und ein paar Kilogramm Fett zulegen und sich bei Rollenspielen in Seminaren selbst entblößen lässt. […] Der Kampf gegen mich ist aussichtslos, im Gegen- satz zu meinen Angestellten […] bin ich als juristische Person unsterblich. Man kann mich zerschlagen, zersetzen, auflösen und verklagen, aber man kann mich nicht einsperren, denn ich besitze keinen Leib, berge aber etagenweise Angestellte, die einen Leib besitzen, der in meinen Diensten steht. Um mich mache ich mir keine Sorgen, ich verschwinde und formiere mich neu, wo und wann ich will. Aber die Angestellten mit ihrem fixen Leib sind an Ort und Zeit gebunden und werken mit diesen Koordinaten herum, im Hier und im Jetzt. ■■ Analysieren Sie, was die Firma an den Frauen „stört“ und was ihnen vorgeworfen wird. Erklären Sie die Begriffe „Trostfood“ und „bevöllern“! ■■ Stellen Sie dar, welche Kontrollen die Firma durchführt. ■■ Klären Sie den Begriff „juristische Person“ und erläutern Sie, weshalb der Kampf gegen die Firma „aussichtslos“ ist. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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