Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

95 Aufklärung (1720–1770) was er gelesen hat, welche Autoritäten von ihm ver­ ehrt werden. Die dritte Art von Vorurteil entsteht durch die Gemeinschaft, in welcher der Mensch lebt. Das Denken der Masse wirkt auf den Einzelnen, der sich der herrschenden Meinung meist nicht zu entzie­ hen wagt. Die letzte Art von Vorurteil entsteht durch die Traditionen. Als Wahrheit gilt das, was von alters her geglaubt wurde. Der Optimismus der Aufklärung: Naturbeherr- schung und Glück durch Erziehung und Bildung Um die Menschen zur Vernunft anzuleiten, braucht man Erziehung und Bildung. Für die optimistische Aufklärung ist sicher, dass moralisches und vernünfti­ ges Handeln lehrbar sind und vielfach positive Wir­ kung haben. Bildung und Wissen führen zum Ver­ ständnis und zur Beherrschung der Natur. Bildung und Wissen führen auch zu glücklichem Leben, das in der Befolgung sittlicher, der Vernunft nicht widerspre­ chender Regeln besteht. Nahezu alle bedeutenden Er­ ziehungskonzepte ab dem 18. Jahrhundert berufen sich auf die Aufklärung. Erstmals wird das Kind nicht als „junger Erwachsener“ betrachtet, sondern als ein von diesem zu unterscheidendes und in diesen Unter­ schieden zu achtendes Wesen. Einen bedeutenden Beitrag dazu liefert der Erziehungsroman „Emile“ (1762) von Jean-Jacques Rousseau (1712–78): Die Kindheit ist etwas uns vollkommen Unbekann- tes – mit den falschen Vorstellungen, die wir davon haben, gehen wir mehr und mehr in die Irre. [...] Im- mer suchen sie im Kind den Erwachsenen, ohne zu bedenken, was ein Kind vorher ist. Die Natur will, dass Kinder Kinder sind, ehe sie zum Erwachsenen werden. Wollen wir diese Ordnung umkehren, so er- zeugen wir frühreife Früchte, die weder Saft noch Kraft haben und bald verfault sein werden [...]. Toleranz, Menschenrechte und Weltbürgertum Der Glaube, dass jeder Mensch vernunftbegabt ist, führt auch zur Forderung, dem Menschen seine Würde nicht zu nehmen und Achtung vor seiner Weltsicht und Religion zu haben. Jedem Menschen kommen nach dem „Naturrecht“ gleiche Rechte zu: Recht auf Leben, auf Freiheit, auf Eigentum. Nationale Überle­ genheitsgefühle oder rassische Klischees werden von den Aufklärern als Vorurteile gewertet. Die neue Staatstheorie: Der Staat beruht auf einem kündbaren Vertrag Im Gegensatz zur absolutistischen Staatslehre, die den Staat nach gottgewollter Ordnung in Herrscher und Untertanen eingeteilt sah, beruht für die Aufklä­ rung der Staat auf menschlicher Übereinkunft. Er hat nur dann eine Berechtigung, wenn er sinnvoll für alle ist. Aufgabe des Staates ist es, das Eigentum zu schüt­ zen und den Bürgern Sicherheit zu gewährleisten. Diese Forderungen formuliert eines der maßgeben­ den staatsphilosophischen Werke der Aufklärung, der „Gesellschaftsvertrag“ von Jean-Jacques Rousseau. Wie jeder Vertrag, so ist auch dieser Vertrag kündbar. Der Vertragspartner Volk kann bei Missverhalten des Herr­ schers den Vertrag mit ihm beenden. Der französische Philosoph Charles de Montesquieu (1689–1755) ver­ langte in seiner Staatstheorie die Gewaltentrennung. Die Versammlung der Staatsbürger, die Legislative, gibt die Gesetze und bestimmt die Staatsform. Der Herrscher ist nur ausführendes Organ und den Staats­ bürgern Rechenschaft schuldig. Ein unabhängiger Richterstand spricht Recht bei Verletzungen der Ge­ setze. ■■ Fassen Sie mündlich die Wurzeln der Aufklärung zusammen, beschreiben Sie den Stellenwert, der Erziehung und Bildung beigemessen wird. ■■ Erläutern Sie den Begriff des „Naturrechts“ und die Staatstheorie der Aufklärung. 2 4 6 8 Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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