Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

96 Aufklärung (1720–1770) Die Literaturübersicht Schreiben als Dienst an der Aufklärung Dichten ist Belehren Die Literatur der Zeit sieht ihre Aufgabe in der Vermitt­ lung der aufklärerischen Ideen. Besonders deutlich hat dies der Dichter und Professor für Poesie Johann Christoph Gottsched (1700–66) in seinem Werk „Ver­ such einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen“ (1730) ausgesprochen. Dichtung soll auf angenehme und verständliche Weise die Menschen geistig und moralisch unterweisen: Der Poet wählet sich einen moralischen Lehrsatz, den er seinen Zuschauern auf eine sinnliche Art einprä- gen will. Dazu ersinnt er sich eine allgemeine Fabel [= Motiv, Stoff]. Hiernächst sucht er in der Historie solche berühmte Leute, denen etwas Ähnliches be- gegnet ist. […] Die ganze Fabel hat nur eine Haupt- absicht: nämlich einen moralischen [Lehr-]Satz. Die Rolle der Zeitschriften Zur Verbreitung der Aufklärungsideen trugen die Zeit­ schriften bei, insbesondere die „Moralischen Wochen­ schriften“, die sich an das wohlhabende Bürgertum wandten. Sie behandelten auf meist acht Seiten in Form von kurzen Erzählungen, Dialogen und Diskus­ sionen Themen des Alltags: Haushalt, Erziehung, Bil­ dung der Frau, Benehmen, Tabakrauchen, Kartenspiel, Kaffeetrinken. Die Auflagen der Wochenblätter blieben meist unter 1.000 Stück. Sie scheiterten oft aus finanzi­ ellen Gründen nach einigen Jahren, so auch die wö­ chentlichen „Briefe, die Neueste Literatur betreffend“, bei denen Gotthold Ephraim Lessing (1729–81) feder­ führend war und die sich vor allem der Literaturkritik widmeten. Doch die literarische Bedeutung der Zeitschriften liegt nicht nur in der Förderung der Lektüre. Sie bilden auch eine wichtige Plattform für die in der Aufklärung schreibenden Frauen, auch wenn diese sich über die Dominanz und Kontrolle der schreibenden Männer zu beklagen haben. So bedauert die damals als Roman­ autorin sehr hoch geschätzte Autorin Christina Maria­ na von Ziegler (1695–1760): „Ich bin gewiss versichert, dass, so lange sich das Frauenzimmer in die Mode, Bü- cher herauszugeben, gemenget hat, fast keine einzige Schrift von ihnen zum Vorschein gekommen sei, die nicht vorher durch eine im Schreiben geübte Manns- person durchgesehen worden wäre.“ Eine weitere be­ deutende Autorin der Zeit, die vor allem als Dramati­ kerin wichtige Luise Adelgunde Victorie Gottsched (1713–62), kritisiert die Doppelbelastung für schreiben­ de Frauen: „Hier muss ich meinen Kopf täglich mit wah- ren Kleinigkeiten, mit Haus- und Wirtschaftssorgen fül- len, die ich von Kindheit an für die elendsten Beschäfti- gungen eines denkenden Wesens gehalten habe.“ Veränderte Lesegewohnheiten Nicht nur die Zeitschrift, auch das Buch steht im Dienst der Aufklärung. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ändert sich das Leseverhalten we­ sentlich. Nicht mehr das intensive Lesen von einigen wenigen Büchern oder gar nur einem Buch, wie zu­ meist der Bibel, religiösen Erbauungsschriften oder Kalendern, bestimmt die Lektüregewohnheiten, son­ dern das extensive Lesen. Man liest weniger genau, aber dafür mehr. Im 18. Jahrhundert entwickelten sich auch die heute noch bedeutenden Verlagsstädte Frankfurt am Main und Leipzig. Leihbibliotheken und Lesegesellschaften erleichterten den Zugang zu den Büchern. Letztere waren private Gruppen, die gemein­ sam Neuerscheinungen kauften und weitergaben. Der private Charakter des Lesens machte diese Lesezirkel in den Augen der absolutistischen Herrscher oft ver­ dächtig. Hohe Mitgliedsbeiträge schränkten allerdings die Zugehörigkeit zu den Lesegesellschaften auf Adel und gehobenes Bürgertum ein. Die Mittelschichten, vor allem auch Studenten, bedienten sich der Leihbib­ liotheken. Auch Stellung und Zahl der Schriftsteller ändern sich durch die neuen Lesegewohnheiten. Zum nebenberuflich schreibenden Gelehrten oder Beam­ ten, der von meist adeligen Mäzenen abhängt, tritt der von Markt und Verleger abhängige „freie“ Schrift­ steller. Frauen lesen ander(e)s als Männer Damals bildeten sich auch die geschlechtsspezifi­ schen Leseunterschiede heraus, die Leseforscherinnen und -forscher heute noch – auch in der Schule – fest­ stellen. Männer lasen (lesen) mehr Zeitschriften, Zei­ 2 4 6 Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus - Nur zu Prüfzwecken – Eigentum d s Verlags öbv

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