Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]
97 Aufklärung (1720–1770) tungen, Sachliteratur. Für sie galt, dass Lesen vor allem einen praktisch-verwertbaren Hintergrund haben musste. Frauen lasen eher „Romane“. Freilich waren große Schichten der Bevölkerung weiterhin vom Le sen ausgeschlossen. Die bevorzugten Gattungen Gattungen, die sich gut zur Belehrung einsetzen las sen, dominieren in der Aufklärung: das Theater mit seiner Anschaulichkeit und großen Breitenwirkung, kürzere epische Texte wie Fabeln, in denen Tiere oder Pflanzen menschliche Situationen widerspiegeln, Sati ren oder pointierte Epigramme. Aphorismen, wie die „Sudelbücher“ Georg Christoph Lichtenbergs (1742–99) (1) , und Gedichte, die sich nicht nur in Büchern, son dern auch in Zeitungen und Zeitschriften leicht veröf fentlichen lassen, sind beispielhafte Gattungen. Die Auseinandersetzung um das Theater: Gottsched gegen die derben Wandertruppen Zur Verbreitung der Aufklärungsideen besonders ge eignet schien das Theater. Doch wie schon im Barock präsentierten die wandernden Schauspielertruppen vor allem auf Sensation und Komik ausgerichtete Stü cke mit Hanswurst als derbem Spaßmacher. Gottsched lehnte diese Form des Theaters genauso ab wie die Oper. Sie war für ihn das „ungereimteste Werk, das der menschliche Verstand je erfunden hat“, und überdies sittenverderbend. Es gelang Gottsched, eine Schau spielertruppe für seine Pläne eines vernunftgemäßen Aufklärungstheaters zu gewinnen. In Anlehnung an die französischen Tragiker Pierre Corneille und Jean Racine schrieb Gottsched für diese Truppe Stücke, die seinen Reformideen entsprachen: Versform, Stände klausel – Adelige als Personen der Tragödie, Bürger als Personal der Komödie –, drei Einheiten, Darstellung einer möglichen, glaubhaften Begebenheit ohne Un wahrscheinlichkeiten, Komik, Derbheit, Wunder. 1737 verbannte Gottsched den Hanswurst öffentlich von der Bühne. Unterstützt wird Gottsched von einer der berühmtesten Schauspielerinnen der Zeit, Caroline Neuber. Die „Neuberin“ kämpfte zeitlebens auch für die Anerkennung der als „unehrlich“ verachteten Schauspieler und Schauspielerinnen als ordentliche Bürger. Wie begründet man die „Ständeklausel“? In der Tragödie dürfen für Gottsched nur die Schicksa le von Königen und Adeligen dargestellt werden. Bürgerliche sollen nur in Komödien auftreten. Begrün det wird dies damit, dass dem Leben der Bürgerlichen die „Fallhöhe“ fehle. Das für die Tragödie typische Scheitern der Personen könne nur erschütternd darge stellt werden, wenn die Person eine hohe Stellung habe und dadurch der Fall umso tiefer sei. Kritik an Gottscheds Vernunfttheater und Stände- klausel Doch gegen Gottscheds rigoroses Vernunfttheater reg te sich auch Kritik. Dichtung dürfe sich nicht nur an den Verstand wenden, auch das Wunderbare habe in der Dichtung seinen Platz, so Gottscheds Schweizer Kritiker Johann Jakob Bodmer (1698–1783) und Johann Jakob Breitinger (1701–76). Der schärfste Gegner Gott scheds wurde Gotthold Ephraim Lessing: „Niemand“, sagen die Verfasser der Bibliothek [einer Zeitschrift], „wird leugnen, dass die deutsche Schau- bühne einen großen Teil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor Gottsched zu danken habe.“ Ich bin dieser Niemand; ich leugne es gerade zu. Es wäre zu wünschen, dass sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt hätte. Seine vermeinten Ver- besserungen betreffen entweder entbehrliche Kleinig- keiten, oder sind wahre Verschlimmerungen. Lessing gab zwar zu, dass das Theater zu Beginn des 18. Jahrhunderts in derbe Spektakel ausgeartet und Gottscheds Kritik berechtigt war. Doch Lessing wandte sich sowohl gegen die strikte Forderung nach den drei Einheiten als auch gegen die Ständeklausel: Die Namen von Fürsten und Helden können einem Stücke Pomp und Majestät geben; aber zur Rührung tragen sie nichts bei. Das Unglück derjeniger, deren Umstände den unsrigen am nächsten kommen, muss natürlicher Weise am tiefsten in unsere Seele dringen; und wenn wir mit Königen Mitleiden haben, so ha- ben wir es mit ihnen als Menschen, und nicht als Kö- nigen. Lessing verweist auf die Tragödien Shakespeares als Vorbilder. Sie bringen Personen auf die Bühne, mit de nen sich das Publikum identifizieren kann, Menschen, die „mit uns von gleichem Schrot und Korn“ sind, „ge- mischte“ Charaktere, wie die Zuschauer selbst, mit gu ten und schlechten Eigenschaften. Mit der Forderung nach psychologischer Gestaltung der Figuren legte Lessing ein bis heute gültiges Fundament für das Theater. 2 4 6 8 2 4 6 8 Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen fassung Literatur übersicht Grenzenlos Fokus - Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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