18 Leben im Mittelalter: faszinierend oder finster? – Texte einordnen und vergleichen Als er zu sich kam, stand er im Burghof des Kastells. […] Der Burghof war voller Leben: Pferde, Reiter, Knappen – eine Jagdgesellschaft im Aufbruch. Die Ersten ritten schon durch das weit geöffnete Tor. An eine Mauer gelehnt stand Jonas und staunte. Ob man ihn bemerkte? Mit Schrecken fiel ihm plötzlich ein, dass er ja in der Badehose war! Beschämt blickte er an sich herunter und entdeckte, dass er eine hellgrüne Leinenhose anhatte, die in Stulpenstiefeln steckte, dazu eine rote Samtjacke. Er brauchte eine Weile, um diese Verwandlung zu begreifen. Unsicher schaute er sich um. Da rief ihn einer der Männer an: „Heda, Bursche! – Ja, dich meine ich!“ „Mich?“ Der Mann machte ein Zeichen mit dem Kopf. „Komm her! Dich hab ich hier noch nie gesehen.“ Die Stimme klang barsch, aber das Gesicht war freundlich. Er trug ein dunkles Lederwams. Mit der rechten Hand führte er eine Stute am Zügel, auf der linken saß ein großer Vogel auf einem ledernen Handschuh. – Wie auf dem Bild, das Jonas in einem Buch über die Falkenjagd gesehen hatte. Klar, das war ein Greifvogel, ein Falke; und der Mann, der ihn trug, war der Falkner. Jonas ging zögernd auf ihn zu. „Nimm den Falken. Setz ihm die Haube auf!“, befahl ihm der Falkner. Und weil Jonas nicht wusste, was er tun sollte, knurrte der Falkner: „Du bist mir ja ein rechter Tölpel. Hast nicht mal einen Handschuh an!“ Verstört suchte Jonas nach Hilfe. Da traf sein Blick die Augen eines Jungen, der ungefähr in seinem Alter war, elf oder zwölf. Der nickte ihm zu, verbeugte sich vor dem Falkner und erklärte: „Herr, er ist neu hier. Wenn Ihr erlaubt, werde ich Euren Falken nehmen, bis Ihr aufgesessen seid.“ Der Falkner brummte, war aber einverstanden und reichte dem Jungen den Falken. „Ich heiße Guntram und bin ein Jagdgehilfe“, sagte der Junge zu Jonas. „Ich zeige dir, was du wissen musst.“ […] 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 1 das Wams (Pl. Wämser): ein Kleidungsstück (eine Art Weste, kurze Jacke) 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 „Und jetzt?“, fragte Jonas. „Ich habe gehört, heut geht die Jagd auf Kraniche.“ „Auf Kraniche?“, rief Jonas. „Auf diese schönen Vögel? Die dürft ihr doch nicht umbringen und essen.“ „Essen?“ Guntram sah Jonas misstrauisch an. „Du weißt aber rein gar nichts. Wie kommst du überhaupt hierher? Hast du noch nie von einer Beizjagd auf Kraniche gehört?“ Jonas schüttelte den Kopf. „Dann weißt du womöglich auch nicht, dass Kraniche nicht zum Essen gejagt werden.“ „Nein“, sagte Jonas. „Aber wozu sonst?“ „Zum Vergnügen“, erwiderte Guntram. „Nur zum Vergnügen. Du wirst gleich erleben, wie großartig das ist.“ Inzwischen hatten sie eine offene Landschaft erreicht. Der Boden wurde sumpfig; oft mussten sie durch Tümpel waten. Der Falkner 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 Lies den Textauszug aus dem Jugendroman „Das Falkenschloss“. Unterstreiche Stellen, in denen du etwas über die Lebensart im Mittelalter erfährst. Tilde Michels Das Falkenschloss Ritter, Burgen, Hexen - im Mittelalter war noch richtig was los. Jonas größter Wunsch ist es, das alles in Wirklichkeit zu erleben. Als er eines Tages eine alte Ruine besichtigt, begegnet er einem rätselhaften Mann – und schon wird er von diesem per Mausklick ins Mittelalter befördert. Nun steht er in Samtwams1 und Stulpenstiefeln inmitten einer Jagdgesellschaft. 1 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
RkJQdWJsaXNoZXIy MjU2NDQ5MQ==