Treffpunkt Deutsch 3 - Deutsch Sprachlehre, Leseheft

44 Die Frau tritt zu Suriaki, fährt ihr zärtlich übers Haar und tröstet sie. „Du musst dich nicht gleich entscheiden“, übersetzt der Hotelbedienstete ihre Worte. „Wir können dich sowieso nicht gleich mitnehmen. Da müssen erst viele Sachen erledigt werden. Freitag fliegen wir erst mal zurück. Bis dahin musst du wissen, ob wir wiederkommen sollen, um dich zu holen, oder nicht.“ „Überleg es dir“, sagt der Vater leise. „Überlege es dir in aller Ruhe. Was du nicht willst, wird nicht geschehen.“ Sie haben darüber gesprochen, immer und immer wieder. Die Eltern wissen nicht, was sie Suriaki raten sollen. Sie wollen sie nicht verlieren. Aber wenn ihre Augen nur im Ausland geheilt werden können? Suwano ist der Einzige, der Suriaki rät, nicht länger zu zögern. „Geh mit und lass dich gesund machen. Mit den beiden hast du tatsächlich einen Glücksvogel erwischt. Wer sonst würde so viel Geld bezahlen, nur damit du wieder sehen kannst?“ „Sie wollen das Geld nicht nur bezahlen, damit Suriaki wieder gesund wird“, widerspricht die Mutter. „Sie wollen sie kaufen. Weil sie selber keine Kinder haben, soll eines unserer Kinder ihr Kind werden.“ „Na und?“, wendet der Vater ein. „Was ist daran schlecht? Wollen sie denn ein gesundes Kind, ein kleines Kind? So ein Zuckerpüppchen wie Yamina vielleicht? Nein, sie wollen ein krankes Kind.“ Die Mutter lacht böse. „Ein gesundes Kind würden sie auch nicht bekommen.“ „Natürlich würden sie auch ein gesundes Kind bekommen“, entgegnet der Vater heftig. „Es gibt genügend Leute, die froh sind, wenn sie einen Schnabel weniger zu stopfen haben. Diese beiden Deutschen sind nicht schlecht, das spüre ich. Dass sie auch an sich denken, darf ihnen niemand verübeln. Wir denken alle zuerst an uns.“ […] „Schokolade! Kaugummi! Bonbons!“ Suriaki geht nicht mehr zum Hotel. Sie will die Frau und den Mann nicht wieder treffen. Lieber zieht sie durch die Straßen und ruft ihre Ware aus. Obwohl ihr hier natürlich niemand etwas schenkt und sie auch nichts verkauft. Doch was sollte sie sonst tun? Vor der Hütte herumsitzen, das neugierige Getue der Geschwister und die besorgte Rücksichtnahme der Eltern ertragen? Nein, das wäre das Schlimmste. Heute ist ja schon Mittwoch, bis morgen früh muss sie sich entschieden haben. Ab Freitag kann sie dann wieder vor dem Hotel sitzen. […] Suwano kommt angelaufen. Er ist außer Atem, hat sie schon überall gesucht. Doch es gibt nichts, was er ihr mitteilen möchte; er will nur bei ihr sein. Suwano, der sich immer so hart gegeben hat, ist auf einmal ganz anders geworden. Der Gedanke, dass sie vielleicht fortgehen wird, beschäftigt ihn sehr. Aber er hat seine Meinung nicht geändert. „Du musst mit“, sagt er auch jetzt wieder […]. „Deine Augen sind das Wichtigste. […] Du musst mitgehen“, redet Suwano weiter auf sie ein. „Vielleicht lernst du dort ja wirklich einen Beruf, dann kannst du uns später alle ernähren.“ Suriaki muss die Tränen niederkämpfen. Suwano soll endlich damit aufhören. Sie will nicht fort von ihm, von den Eltern und den Geschwistern, da kann er reden, solange er will. Der Bruder weiß, was sie denkt. Traurig steht er auf. […] Es ist Abend geworden. Suriaki müsste schon längst zu Hause sein und zieht noch 154 156 158 160 162 164 166 168 170 172 174 176 178 180 182 184 186 188 190 192 194 196 198 200 202 204 206 208 210 212 214 216 218 220 222 224 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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