Vielfach Deutsch 3, Leseheft

Ich erkenne und vertrete Standpunkte Teste dich selbst. Lies den Textausschnitt, in welchem die deutsche Autorin Catherina Rust aus ihrer Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern im brasilianischen Urwald erzählt. Heimat im Regenwald In den Hütten der Bewohner gab es keine Fenster und keine festen Wände. Sie dienten ohnehin nur als überdachte Schlaftätten und als Schutz vor der gleißenden Tropensonne. Möbel gab es keine, lediglich ein paar Hängematten und kleinere Aufbewahrungskörbe, die wabengleich an den Stützpfosten und unter den Dächern hingen. Das eigentliche Leben spielte sich im Freien ab. Der Dorfplatz war unser Wohnzimmer, der Fluss Badezimmer und Freibad, die Pflanzungen, Gärten und der Urwald waren Speisekammer und Supermarkt zugleich. Persönliche Reichtümer anzuhäufen, erschien den Aparai nicht wichtig, weil alle mehr oder weniger gleich viel besaßen. Dennoch gab es ein ausgeprägtes Bewusstsein für Eigentum. Jeder Gegenstand hatte einen Besitzer, eine Cashewfrucht etwa, die zu Boden fiel, wurde nicht einfach aufgehoben; nur der Eigentümer des Baums durfte sie aufheben und, wenn er wollte, einem anderen übergeben. Im Unterschied zu unserem Verständnis hortete man aber nichts für sich. Es war üblich, dass am Ende alles geteilt wurde. Der Jäger mit der reichsten Beute gab seinem glücklosen Jagdgefährten einen guten Teil ab. Wessen Pflanzungen nicht so viel hergaben, der wurde von einem Nachbarn mit reicherer Ernte beschenkt. Dass hierzulande in ein und derselben Stadt manche Menschen in einem geradezu verschwenderischen Luxus leben, während es andere oftmals nur mit großer Mühe schaffen, ihren Kindern eine warme Mahlzeit am Tag oder ein neues Paar Schuhe zu bieten, dafür hätten die Aparai kein Verständnis. Wer Hunger hat, darf sich sogar an den Pflanzungen seines Nachbarn bedienen, er muss ihm nur anschließend Bescheid geben. Und wer unverschuldeterweise in Not gerät, der kann sich der Hilfe und der Unterstützung der Dorfgemeinschaft gewiss sein. Ein Spruch wie „Geiz ist geil“ oder „Jeder ist sich selbst der Nächste“ hätte am Amazonas vermutlich zu Randalen geführt. Weil Eigennutz und blanker Egoismus im Verständnis der Indianer gänzlich verwerfliche Eigenschaften sind. Nimm zum Inhalt des Textes Stellung. Überlege, was unsere Gesellschaft von der Lebensweise der Aparai-Wajana und deren Umgang mit Besitz lernen könnte. Nenne deine Argumente. 1 Buchtipp Catherina Rust: Das Mädchen vom Amazonas. Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern. btb, München. Catherina Rust verbrachte ihre Kindheit in Mashipurimo, einem Urwalddorf am Amazonas. Ihre Eltern erforschten dort die Lebensweise der Aparai-Wajana. Die Autorin erzählt vom Urwald als Spielplatz, von ihrer ersten Sprache Aparai und vom Brüllen des Jaguars – und von einer Lebensweise fernab der westlichen Konsumwelt. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 Aus: Catherina Rust: Das Mädchen vom Amazonas. Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern. btb, München 2012 (gekürzt). 2 M Lesen, um zu argumentieren und zu appellieren 39 3 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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