121 Das politische System war eine kommunistische Diktatur. Politische Gegner/innen wurden verfolgt und in Straflagern interniert. Besonders am Beginn seiner Herrschaft fielen Tausende Kommunisten „politischen Säuberungen“ zum Opfer, die verdächtigt wurden, Anhänger/innen Stalins zu sein: Sie wurden inhaftiert, zum Teil gefoltert oder getötet. Ab 1963 war Tito Staatspräsident auf Lebenszeit. Titoismus – ein kommunistischer Sonderweg Im Gegensatz zum Stalinismus in der UdSSR schlug Tito einen anderen Weg ein. Durch die Verfolgung eigener außenpolitischer Ziele am Balkan und die Ablehnung sowjetischer Einflussnahme kam es zum Bruch mit Stalin. Bereits 1948 wurde Jugoslawien aus der Kominform, einem überstaatlichen Bündnis kommunistischer Parteien, ausgeschlossen. Darauhin öffnete sich Jugoslawien wirtschaftlich Richtung Westen, Industrie und Tourismus wurden wichtige Wirtschaftszweige. Außerdem suchte der Staat nun um Wirtschaftshilfe im Rahmen des Marshallplans an. All das sorgte bis Ende der 1960er Jahre für ein „Wirtschaftswunder“. Die Einkommen stiegen, die Bevölkerung durfte schließlich ins Ausland reisen und hatte Zugang zu westlichen Waren, z. B. durch Einkaufsfahrten ins italienische Triest. Jugoslawische Gastarbeiter waren in Deutschland und Österreich gefragt und brachten Devisen zurück in die Heimat. Außenpolitisch absolvierte Tito zahlreiche Staatsbesuche, auch im Westen. Mit den Präsidenten Indiens und Ägyptens gründete er die Bewegung der Blockfreien Staaten, die für Dekolonisation und Abrüstung eintraten (s. S. 110). Ethnisch-religiöses Konfliktpotenzial In den 1970er Jahren traten aufgrund des wirtschaftlichen Abschwungs und damit verbundener Krisen Konflikte um die ökonomische Verteilung unter den einzelnen Republiken auf. Die nördlichen Staaten, vor allem Slowenien und Kroatien, waren wesentlich wohlhabender und mussten die ärmeren Regionen finanziell unterstützen. Demonstrationen, oppositionelle sowie nationalistische Bestrebungen in den einzelnen Republiken wurden durch Polizei und Volksarmee niedergeschlagen. Trotz Repressionen nahmen nationalistische Strömungen nicht zuletzt aufgrund des ethnisch-religiösen Konfliktpotenzials zu. In dem Vielvölkerstaat lebten unter anderem katholische Kroaten, orthodoxe Serben sowie muslimische Bosniaken. Krise und Wende im Vielvölkerstaat Mit Titos Tod 1980 verlor der Staat seine einende Figur. Die Führung wurde von einem Präsidium übernommen, welches aus den acht Vertretern der Republiken und autonomen Gebiete bestand. Eigene nationale Interessen bestimmten nun das Handeln. Zudem spitzte sich in den 1980er Jahren die Wirtschaftskrise zu, die Inflation stieg, Einkommen und Lebensqualität sanken und die Staatsverschuldung geriet außer Kontrolle. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks änderte sich auch die politische Lage, denn durch die Ostöffnung ging die für die nationale Identität vorteilhafte Position Jugoslawiens zwischen Ost und West verloren, und auch die Bewegung der Blockfreien Staaten verlor an Bedeutung. Als 1990/91 Mehrparteienwahlen in den Republiken stattfanden, setzten sich nationalistische Politiker durch, was die Auflösungstendenzen beförderte. Der Diplomat Wolfgang Petritsch über den Zerfall Jugoslawiens (2020) Es ist im Übrigen eine bittere Tatsache, dass jenes paktfreie Jugoslawien, das mehr als andere zum Erfolg [der Entspannung zwischen Ost und West] beigetragen hat, letztlich selbst Opfer dieser historischen Zeitenwende geworden war. Mit dem Wegfall des ideologischen Druckes Moskaus und dem Verlust der geostrategischen Bedeutung Südosteuropas für den Westen konnten die zentrifugalen, ethno-nationalistischen Kräfte der jugoslawischen Republiken […] die Oberhand gewinnen; die jugoslawischen Sezessionskriege der 1990er Jahre markieren das endgültige Scheitern der historischen Einigungsbestrebungen der Südslawen. M2: Petritsch: Österreich und Südosteuropa: Traditionelle Bande – Neue Herausforderungen, 2022, S. 966. Beginnende Unabhängigkeitskriege: Slowenien und Kroatien Der Zerfall Jugoslawiens ging mit vier Kriegen einher. Das im jugoslawischen Vergleich ethnisch homogene Slowenien errang die Unabhängigkeit rasch in einem 10-tägigen Krieg. Serbien wollte seine Vorherrschaft behaupten und die zahlreichen Gebiete in Kroatien und Bosnien mit ethnisch serbischer Bevölkerung nicht verlieren. Diese strebte ebenfalls danach, Serbien anzugehören. Im Kroatienkrieg (1991–1995), vor allem in den kroatischen Gebieten mit größeren serbischen Minderheiten, gab es daher deutlich mehr Opfer und auch Kriegsverbrechen auf beiden Seiten. Kroatien errang schließlich die Unabhängigkeit, wobei in der Folge mehr als 200 000 Serbinnen und Serben vertrieben wurden. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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