132 3.2 Der Prozess der Dekolonisation Die Dekolonisation zwischen etwa 1945 und 1975 bezeichnet den Prozess, in dem die Kolonien die Unabhängigkeit erreichten und neue Staaten bildeten. Die Befreiung aus der politischen Abhängigkeit ist heute weitgehend abgeschlossen, doch die wirtschaftliche Abhängigkeit besteht zum Teil weiter. Auch die sogenannte geistige Dekolonisation, die Ablöse von Stereotypen der Kolonialzeit sowie der europäischen Sichtweise in Politik, Wirtschaft und Kultur, dauert noch an. (s. S. 144 und 146) Die ersten Unabhängigkeiten Viele der ersten durch private Wirtschaftsunternehmungen angeregten und organisierten Kolonien erlangten schon vor dem 20. Jh. ihre Unabhängigkeit. Die dreizehn britischen Kolonien in Nordamerika wurden von Großbritannien 1783 als unabhängig anerkannt und bildeten die USA (s. Alles Geschichte! 6, S. 98). Die Kolonien von Spanien und Portugal in Süd- und Mittelamerika wurden in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh. souveräne Staaten. Diese Staatenbildungen unterschieden sich allerdings von jenen im 20. Jh., da am amerikanischen Kontinent die europäischen Siedler/innen, ohne Einbeziehung der indigenen Bevölkerung, die Trennung vorantrieben. Die ersten beiden Wellen der Dekolonisation Die in der Phase der Dekolonisation unabhängig gewordenen Länder liegen vor allem in Afrika und Asien. Sie waren größtenteils erst Ende des 19. Jh. im Zuge des staatlichen Imperialismus unter Fremdherrschaft gekommen. Neben europäischen Staaten erweiterten auch Japan sowie die USA ihr koloniales Herrschaftsgebiet. Die ersten Forderungen nach staatlicher Unabhängigkeit stellten nationale Bewegungen in den Kolonien am Ende des Ersten Weltkriegs. Bestärkt wurden sie durch das dem 14-Punkte-Programm des US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson zugrundeliegende Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker. In der Zeit zwischen den Weltkriegen erlangten die britischen Siedlerkolonien in Kanada, Südafrika, Australien und Neuseeland als Dominions die politische Unabhängigkeit von Großbritannien. Autor George Orwell über seine Erfahrungen als Polizeibeamter in Burma (1936) For at that time I had already made up my mind that imperialism was an evil thing and the sooner I chucked up [dt. ‚hinschmeißen’] my job and got out of it the better. Theoretically – and secretly, of course – I was all for the Burmese and all against their oppressors, the British. As for the job I was doing, I hated it more bitterly than I can perhaps make clear. In a job like that you see the dirty work of Empire at close quarters. The wretched prisoners huddling in the stinking cages of the lock-ups, the grey, cowed faces of the long-term convicts, the scarred buttocks [dt. ‚Hintern’] of the men who had been flogged with bamboos – all these oppressed me with an intolerable sense of guilt. But I could get nothing into perspective. I was young and ill-educated and I had had to think out my problems in the utter silence that is imposed on every Englishman in the East. M1: Orwell: Shooting an Elephant, 1936. Dekolonisation Dekolonisation vor 1870 Dekolonisation 1900 bis 1945 Dekolonisation 1946 bis 1959 Dekolonisation 1960 bis 1975 Dekolonisation nach 1975 heute noch abhängiges Territorium heutige Staatsgrenzen Atlantischer Ozean Pazifischer Ozean Pazifischer Ozean Indischer Ozean M1: Weltkarte der Dekolonisation Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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