150 3.11 Kritischer Vergleich von Darstellungen in Geschichtsschulbüchern: Kolonisation und Dekolonisation Schulbücher des Faches Geschichte beinhalten den Themen des Lehrplans entsprechende Geschichtsdarstellungen. Diese sind beeinflusst vom zeitgenössischen Wissenstand und von den jeweiligen Anschauungen zur Zeit ihrer Veröffentlichung. Da sich Anschauungen (Paradigmen) im Lauf der Zeit ändern und neue Denkweisen und Theorien entstehen (Paradigmenwechsel), kommt es zu unterschiedlichen Sichtweisen und Darstellungen desselben Themas. Die Inhalte der (Schul-)Bücher müssen daher, wie alle Darstellungen, immer kritisch im jeweiligen Kontext ihrer Entstehung betrachtet werden. Beim Thema Afrika im Kontext der Kolonialisierung und der Dekolonisierung änderten sich die Ansichten vom 20. Jh. bis heute. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Eurozentrismus. Eurozentrismus So wird die Beurteilung nichteuropäischer Kulturen aus der Perspektive europäischer Werte und Normen genannt. Darstellungen zu Kolonisation und Dekolonisation Die Auszüge der Schulbücher von 1908, 1979 und 1990 waren für den Unterricht zugelassen. Noch vor der Phase der Dekolonisation erschien 1908 das „Lehrbuch der Geschichte der Neuzeit“ von Karl Woynar im F. Tempsky Verlag in Wien. Das Kapitel „Ausbildung der modernen Expansionsstaaten. Der sogenannte Imperialismus der Weltmächte“ beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Erwerb von Gebieten sowie den notwendigen Bedingungen dafür. Die Weltmächte Großbritannien, USA, das Deutsche Reich, Frankreich, Russland und Japan werden in eigenen Unterkapiteln behandelt. Bedingungen der „Weltherrschaft“ (1908) Bedingungen solcher Expansion sind neben großem Landbesitze und zahlreichem Menschenmaterial wirtschaftliche Kräfte mit starker industrieller Produktion, unablässige Tatkraft, schlagfertige Heere, die ihrerseits wieder durch die Zunahme der Bevölkerung bedingt sind, und gegenwärtig vor allem starke Flotten, die zum Schutze der politischen und wirtschaftlichen Interessen in überseeischen Gebieten unerläßlich sind. M1: Woynar: Lehrbuch der Geschichte der Neuzeit, Wien 1908, S. 214 (alte RS). Zur Aufteilung Afrikas findet sich der folgende Absatz. Afrikanische Gebiete (1908) Soweit die afrikanischen Gebiete noch herrenlos waren, wurden sie in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts aufgeteilt und ebenso versuchten die neuen Weltmächte in Ostasien festen Fuß zu fassen […]. M2: Woynar: Lehrbuch der Geschichte der Neuzeit, Wien 1908, S. 214 (alte RS). Die europäischen Siedler/innen (Kolonisten) werden nur bei kriegerischen Auseinandersetzungen erwähnt. Burenkrieg (1908) Der stolze Plan, Afrika von der Nilmündung bis zum Kap der guten Hoffnung englisch zu machen, scheiterte allerdings an der Gründung des belgischen Kongostaates und an der Festsetzung des Deutschen Reiches in Deutsch-Ostafrika. Auch den durch ihre Gold- und Diamantenfelder überaus wertvollen Buren-Freistaaten, der Transvaal- und Oranje-Republik, machte England trotz des heldenmütigsten Ringens der Buren um ihre Freiheit in einem für die britischen Waffen wenig rühmlichen Kriege (1899 –1902) […] ein Ende. Die Kolonisten, denen England immer ein großes Maß selbständiger und freier Entwicklung gewährt hatte, bewährten sich während des Burenkrieges als treue Bundesgenossen des Mutterlandes. M3: Woynar: Lehrbuch der Geschichte der Neuzeit, 1908, S. 215 (alte RS). Die zweite, verbesserte Auflage des Schulbuches „Zeitgeschichte“ von Walter Göhring und Herbert Hasenmayer ist 1979 im Verlag Ferdinand Hirt in Wien erschienen. Im Kapitel „Das nationale Erwachen der afrikanischen Völker“ wird die Dekolonisation Afrikas behandelt. Dekolonisation Afrikas (1979) Das Erwachen des afrikanischen Selbstbewußtseins wurzelte u.a. in den Auseinandersetzungen der kriegführenden Staaten des Zweiten Weltkrieges. Die farbigen Völker emanzipierten sich von ihrer kolonialen Bevormundung und verlangten die Einlösung von politischen Zusagen aus der Zeit vor und nach 1939. Triebfeder dafür war der Umbruch in der Arabischen Welt, der in Vorderasien seinen Ausgang genommen hatte und sehr bald nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auch auf Nordafrika übersprang. […] War Afrika im Ersten Weltkrieg eine wichtige KraftNur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
RkJQdWJsaXNoZXIy MjU2NDQ5MQ==