164 4.8 Migration nach Österreich M2: Alfred Cermak: Gastarbeiter auf einer Baustelle machen eine Pause. Fotografie, 1974 Aus „Gästen“ werden Eingewanderte Im Laufe der 1970er folgten die Familien der Arbeitenden nach, die Arbeitsverträge wurden auf mehrere Jahre verlängert. Als das Wirtschaftswachstum im Zuge des „Erdölpreisschocks“ 1974 zurückging, waren auch „Gastarbeiter/ innen“ davon betroffen. Die bereits zugewanderten Arbeitskräfte und ihre Familien blieben jedoch meist im Land. Sie wurden in der öffentlichen Wahrnehmung und von einheimischen Arbeitskräften zusehends als Konkurrenz gesehen und angefeindet. Historiker Dirk Rupnow über die „Gastarbeiter“ Der Begriff des „Gastarbeiters“ sollte freundlich und einladend sein, wiewohl Gäste normalerweise nicht arbeiten. Wichtiger war aber wohl – bei aller Dankbarkeit und Einsicht in die Notwendigkeit – klarzustellen, dass es sich nur um einen vorübergehenden Aufenthalt handelte. Bereits Anfang der 1970er Jahre, als die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte einen ersten Höhepunkt erreichte, hätte allerdings realisiert werden können, dass die Menschen, die man gerufen hatte, nicht alle ohne weiteres wieder gehen würden. Dass Österreich aus eigenem Willen und auf Grund eigener Interessen de facto ein Einwanderungsland war, wurde aber konsequent ausgeblendet. M3: Rupnow: 1964: Beginn der Arbeitsmigration aus der Türkei. Online auf: hdgoe.at (20.8.2023). Mit einer bis heute bekannten Plakataktion trat 1973 die Werbewirtschaft Österreichs gegen Fremdenfeindlichkeit und für Toleranz auf (M4). Während des Zweiten Weltkriegs und kurz danach war Österreich ein Auswanderungsland. Das änderte sich mit dem Wirtschaftsaufschwung in den 1960er-Jahren. „Gastarbeiter/innen“ in Österreich Der rasche Wirtschaftsaufschwung Anfang der 1960er-Jahre zog einen eklatanten Arbeitskräftemangel nach sich. Um diesen zu bewältigen, wurde auf den gezielten Zuzug von Arbeitskräften aus der Türkei und aus Jugoslawien gesetzt. Benötigt wurden sowohl einfache Arbeiter/innen als auch Facharbeiter/innen. Diese sogenannten „Gastarbeiter“ wurden mittels Anwerbeabkommen mit wirtschaftsschwachen Staaten nach Österreich geholt. Die Bewerber/ innen mussten einen fachlichen Eignungstest bestehen und sich einer Gesundheitsuntersuchung unterziehen. Die angeworbenen Arbeiter/innen waren bis in die 1970-Jahre vor allem als Hilfskräfte in der Bauwirtschaft, in der Lederproduktion und -verarbeitung sowie in der Metall- und Textilindustrie tätig, später im Bereich „Handel und Dienstleistungen“. Aus dem Bericht des Betriebsarztes der Vöslauer- Kammgarn-Fabrik über die Untersuchungen in Banja Luka (1969) Am ersten Tag waren etwa 40 Frauen und Mädchen erschienen, von denen etwa die Hälfte unter und die Hälfte über 30 Jahre alt war. Entsprechend den Aufträgen der Firma wurden von mir zuerst alle Personen unter 30 Jahren untersucht, zuletzt jedoch auch einige Frauen über 30 Jahre. Die anderen wurden weggeschickt (etwa 15 Frauen). […] Die gewünschte Zahl von 40 Arbeitskräften hätten wir in Banja Luka […] nur dann erfüllen können, wenn die Altersbegrenzung bei ca. 40 Jahren gelegen wäre und wenn es uns nicht untersagt gewesen wäre, Analphabeten in Erwägung zu ziehen. […] In diesem Zusammenhang möchte ich auch erwähnen, dass ich es nicht für richtig halte, die aus der Landwirtschaft stammenden Arbeitskräfte von vornherein als kaum in Frage kommend zu betrachten. M1: Bericht von Dr. B. Weinrich an die Direktion, 1969. Online auf: www.gastarbajteri.at (6.10.2023). Die Arbeitsbedingungen für „Gastarbeiter/innen“ waren häufig prekär und es gab kaum Aufstiegschancen. Die Beschäftigungsbewilligungen galten nur für ein Jahr, und wollte man die Arbeitsstelle wechseln, musste man eine neue Genehmigung einholen. Damit waren die Gastarbeiter/innen von den Unternehmen abhängig. Meist stellten die Unternehmen für die Arbeiter/innen Wohnraum bereit, der jedoch in schlechtem Zustand war. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
RkJQdWJsaXNoZXIy MjU2NDQ5MQ==