171 Reisen zu ehemaligen Schlachtorten des Ersten und Zweiten Weltkriegs nahmen (seit den 1990er-Jahren) ebenso zu wie solche zu früheren Stätten des Holocaust, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989/90 für ein breiteres Publikum ungleich leichter erreichbar waren als zuvor. […] [Derartige] Entwicklungen der unmittelbaren Gegenwart wären in der Nachkriegszeit schlichtweg undenkbar gewesen. […] Soldaten zog es nicht auf Schlachtfelder zurück. Diese waren in den Nachkriegsjahrzehnten keine Orte der Besichtigung, sondern der persönlichen Trauer um Familienangehörige oder gefallene Kameraden. […] Zivilisten mussten nach Kriegsende von alliierten Soldaten mit Gewalt gezwungen werden, sich die jüngst befreiten Konzentrationslager überhaupt anzusehen. […] Niemand wollte an etwas erinnert werden, von dem er oder sie nach Selbstbekundung ohnehin „nichts gewusst“ haben wollte. Die damalige Erinnerungsverweigerung steht in denkbar schärfstem Kontrast zur Gegenwart, in der Erinnerung geradezu in den Rang eines kategorischen Imperativs [= eine allgemeine Pflicht] erhoben worden ist. Früher ein eher individueller Akt, ist Erinnerung heute eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und damit Teil einer öffentlichen „Erinnerungskultur“. M1: Bajor: Dark Tourism. Überlegungen zu Tourismus, Gewalt und Erinnerung. Online auf: www.bpb.de/shop/zeitschriften/ apuz/344469/dark-tourism/ (26.9.2023). Journalistin Marie-Theres Detmer über „Dark Tourism“ Ist Dark Tourism für unsere Zukunft relevant, auch wenn das Konzept umstritten ist? Dark Tourism kann ein tieferes Verständnis von Geschichte und aktuellen Ereignissen fördern. Tourist*innen werden durch den Besuch von historisch und kulturell bedeutsamen Stätten auf Missstände aufmerksam gemacht. Ein Konzentrationslager beispielsweise gibt einen unmittelbaren Einblick in die Grausamkeiten des Holocaust und fördert das Verständnis für diese Zeit der Geschichte. M2: Detmer: Dark Tourism: Reisen an die gruseligsten Orte der Welt. Online auf: reisevergnuegen.com (26.9.2023). M3: Mike Vogl: Das Unternehmen Chernobyl Tour bietet Ausflüge in die Chernobyl-Zone und in die Stadt Prypjat an. Fotografie, 2021. Jetzt bist du dran: 1. Erkläre, worum es sich bei „Dark Tourism“ handelt. Ermittle, wie sich diese Art von Tourismus gewandelt hat. 2. Nenne auf Basis von M1 mindestens fünf Orte, die schon in der Vergangenheit Anziehungspunkte für „Dark Tourists“ waren. 3. Untersuche auf der Grundlage von M1 und M2 die Vor- und Nachteile von „Dark Tourism“ für die Reisenden und die Bevölkerung vor Ort. Frage danach, welche Orientierungsangebote die beiden Darstellungen vermitteln. Beziehe dabei dein bereits vorhandenes Wissen mit ein. 4. Diskutiert, warum Menschen sich seit jeher zu Orten mit einer tragischen Vergangenheit hingezogen fühlen. 5. Hast du selbst schon einmal einen derartigen Ort besucht? Falls ja, nimm Stellung dazu. Falls nein, erörtere, warum du einen derartigen Ort (nicht) besuchen würdest. 6a. Recherchiere zum Reaktorunglück von 1986 im Kernkraftwerk Chernobyl (Tschernobyl) und zur benachbarten Stadt Prypjat. 6b. Beurteile das Bild M3 in Zusammenhang mit dem Ort. Mache Vorschläge für das Verhalten an einem Ort, an dem eine Katastrophe mit vielen Toten und großem Leid geschehen ist. 7. Überprüfe, was eine an Sensationen interessierte von einer verantwortungsvoll reisenden Person in Bezug auf „Dark Tourism“ unterscheidet. 8. Trage deine Ergebnisse aus den Aufgaben 1 bis 7 übersichtlich zusammen und stelle die unterschiedlichen Standpunkte einander gegenüber. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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