Alles Geschichte! 7, Schulbuch

187 Grundsätze für eine Friedensordnung nach dem Ende des Weltkrieges von US-Präsident Woodrow Wilson (1918) 1. Abschaffung der Geheimdiplomatie 2. Freie Seeschiffart in Frieden und Krieg 3. Beseitigung von Schranken und Ungleichheiten im Handelsverkehr 4. Abrüstung 5. unparteiische Regelung aller kolonialen Ansprüche 6. Räumung aller besetzten Gebiete Russlands durch die Mittelmächte 7. Wiederherstellung Belgiens 8. Räumung des besetzten französischen Territoriums und Rückgabe Elsass-Lothringens an Frankreich 9. Bereinigung der italienischen Grenzen entsprechend klar erkennbaren Nationalitätsgrenzen 10. Autonome Entwicklung der Völker Österreich-Ungarns 11. Räumung durch die Mittelmächte und Restitution Rumäniens, Serbiens (mit Zugang zum Meer) und Montenegros 12. Autonome Entwicklung der Völker des Osmanischen Reiches und Öffnung der Dardanellen 13. Errichtung eines unabhängigen polnischen Staates unter Einschluss aller Gebiete mit unzweifelhaft polnischer Bevölkerung und mit freiem Zugang zur See 14. allgemeiner Zusammenschluss aller Nationen zur gegenseitigen Garantie von politischer Unabhängigkeit und territorialer Unverletzlichkeit M2: 14-Punkte-Programm von Woodrow Wilson. Online auf: https://uni-tuebingen.de (26.6.2024). Vom Standpunkt der Logik aus war das Törichtste, was ich nach dem Niederbruch der deutschen und österreichischen Waffen tun konnte: nach Österreich zurückzukehren, nach diesem Österreich, das doch nur noch als ein ungewisser, grauer und lebloser Schatten der früheren kaiserlichen Monarchie auf der Karte Europas dämmerte. Die Tschechen, die Polen, die Italiener, die Slowenen hatten ihre Länder weggerissen; was übrig blieb, war ein verstümmelter Rumpf, aus allen Adern blutend. Von den sechs oder sieben Millionen, die man zwang, sich ›Deutsch-Österreicher‹ zu nennen, drängte die Hauptstadt allein schon zwei Millionen frierend und hungrig zusammen; die Fabriken, die das Land früher bereichert, lagen auf fremdem Gebiet, die Eisenbahnen waren zu kläglichen Stümpfen geworden, der Nationalbank hatte man ihr Gold genommen und dafür die gigantische Last der Kriegsanleihe aufgebürdet. Die Grenzen waren noch unbestimmt, da der Friedenskongreß kaum begonnen hatte, die Verpflichtungen nicht festgelegt, kein Mehl, kein Brot, keine Kohle, kein Petroleum vorhanden; eine Revolution schien unausweichlich oder sonst eine katastrophale Lösung. Nach aller irdischen Voraussicht konnte dieses von den Siegerstaaten künstlich geschaffene Land nicht unabhängig leben und – alle Parteien, die sozialistische, die klerikalen, die nationalen schrien es aus einem Munde – wollte gar nicht selbständig leben. Zum erstenmal meines Wissens im Lauf der Geschichte ergab sich der paradoxe Fall, daß man ein Land zu einer Selbständigkeit zwang, die es selber erbittert ablehnte. Österreich wünschte entweder mit den alten Nachbarstaaten wieder vereinigt zu werden oder mit dem stammesverwandten Deutschland, keinesfalls aber in dieser verstümmelten Form ein erniedrigtes Bettlerdasein zu führen. Die Nachbarstaaten hingegen wollten mit diesem Österreich nicht mehr in wirtschaftlichem Bündnis bleiben, teils weil sie es für zu arm hielten, teils aus Furcht vor einer Wiederkehr der Habsburger; den Anschluß an Deutschland verboten anderseits die Alliierten, um das besiegte Deutschland nicht zu stärken. So wurde dekretiert: Die Republik Deutsch-Österreich muß bestehen bleiben. Einem Lande, das nicht existieren wollte – Unikum in der Geschichte! – anbefohlen: »Du mußt vorhanden sein!« Der österreichische Autor Stefan Zweig in „Die Welt von Gestern“ (1942) M3: Zweig: Die Welt von Gestern, 1942, S. 208. Online auf: https://austria-forum.org/web-books/weltvongestern00de1942isds/000208 (12.9.2024). Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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