78 4.8 Ausgrenzung und Verfolgung von Menschen außerhalb der „Volksgemeinschaft“ Wer sich den Anordnungen der NS-Diktatur verweigerte oder den Vorstellungen der NS-Ideologie widersprach, musste mit ernsthaften Folgen rechnen. Das reichte von einer Gefängnisstrafe, über Zwangsarbeit bis zu Folter und Ermordung. Politischer Widerstand Trotz Lebensgefahr arbeiteten während der gesamten NS-Herrschaft Menschen im politischen Widerstand. Politische Gegner/innen wie Sozialistinnen/Sozialisten, Kommunistinnen/Kommunisten und Christlichsoziale bzw. Bürgerliche, die nicht kooperierten, wurden in Gefängnissen gefoltert, im besten Fall zu Haftstrafen verurteilt, oftmals jedoch zum Tod durch Erhängen oder das Fallbeil. In den Konzentrationslagern wurden sie zu Zwangsarbeit genötigt oder ermordet. In Österreich erfolgte bereits am 1. April 1938 der erste Transport ins KZ Dachau. Opfer des so betitelten „Prominententransports“ waren vor allem Politiker und Beamte des Ständestaates sowie Oppositionelle und Heimwehrführer. Die Verhaftungen hatten bereits ab 12. März stattgefunden. Die kommunistische Widerstandskämpferin Margarete Schütte-Lihotzky über die Informationsweitergabe in der Untersuchungshaft (1985) Erst erfolgte eine Benachrichtigung durch Klopfzeichen, dann ließ man das an das „Schnürl“ [kleine Schnur] angebundene und beschwerte „Gsiberl“ [= Kassiber; ein Behältnis] in die unteren Stockwerke hinunter oder warf es in die Nebenzelle, von wo es zur Seite oder nach unten weiterbefördert wurde. M1: Schütte-Lihotzky: Erinnerungen aus dem Widerstand, 2014, S. 79. Bericht über die Lagerhaft Die ersten Tage […] gab es für uns nichts als stehen, stehen und wieder stehen, mit dem Gesicht zur Wand, weit getrennt von den Mitgefangenen zur Rechten und zur Linken. Neben mir ein dumpfes Geräusch. Wilma Tessarek war ohnmächtig geworden. Ich verließ meinen Platz, wollte ihr helfen. Untersagt! Eine der Aufseherinnen brüllte mich an. Allein wurde ich dem Direktor vorgeführt. […] Vom Stehen müde, griff ich nach einer Stuhllehne. Untersagt. Der Direktor brüllte mich an. Die Zuchthäuslerin wird mir eingebläut. Bei der Leibesvisitation: stehen. Beim Arzt: stehen. Zum Bad: stehen. Zur Einkleidung: stehen. Warten und stehen, schweigend, stundenlang. M2: Schütte-Lihotzky: Erinnerungen aus dem Widerstand, 2014, S. 129–130. Körperlich und psychisch Beeinträchtigte Ab 1939 wurden Neugeborene mit Anzeichen schwerer geistiger oder körperlicher Behinderung systematisch ermordet (s. S. 66). Mit dem Überfall auf Polen weitete sich die nun zentral organisierte, geheim gehaltene „Vernichtung unwerten Lebens“ auf „erbkranke“ Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus, die als finanzielle Belastung für die „Volksgemeinschaft“ galten. Die als „Aktion T4“ bezeichneten Massentötungen wurden bald bekannt und lösten in der Bevölkerung Proteste aus. Als die Aktion 1941 offiziell eingestellt wurde, waren in den sechs Tötungsanstalten des Deutschen Reichs – darunter Schloss Hartheim bei Linz – 70 000 Menschen ermordet worden. Die Tötungen vor allem von Kindern und Jugendlichen wurden jedoch dezentral, in den einzelnen Pflege- und Krankenanstalten, weitergeführt. M3: Unbekannt: Transportbus mit verdunkelten Scheiben der Tötungsanstalt Hartheim (OÖ), um 1940 „Am Spiegelgrund“ In Wien wurde die Heil- und Pflegeanstalt „Am Steinhof“ zum Zentrum der NS-Tötungsmedizin, mindestens 7500 Menschen wurden dort ermordet. Von 1940 bis 1945 existierte auf dem Anstaltsgelände unter der Bezeichnung „Am Spiegelgrund“ eine Jugendfürsorgeanstalt, zu der neben einem Erziehungsheim auch eine Nervenheilanstalt gehörte. Physisch und psychisch kranke Kinder sowie schwer erziehbare Kinder und Jugendliche wurde dort systematisch gedemütigt, misshandelt und medizinischen Versuchen unterzogen, 789 Morde sind dokumentiert. Einer der leitenden Ärzte, und für die meisten Morde verantwortlich, war der Österreicher Heinrich Gross. Gross wurde für seine Verbrechen nie zur Rechenschaft gezogen und konnte im Nachkriegsösterreich Karriere als Psychiater und Gerichtsgutachter machen (s. S. 89). Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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