88 KOMPETENZTRAINING 4.12 Eigenständige Fragen zu Entwicklungen in der Vergangenheit formulieren: Entnazifizierung Eigenständige Fragen zu Entwicklungen in der Vergangenheit formulieren Je eingängiger man sich mit Entwicklungen in der Vergangenheit auseinandersetzt, umso mehr Fragen werden sich stellen, z. B. hinsichtlich der äußeren Faktoren, der Akteurinnen und Akteure oder politischer und individueller Entscheidungen. Die Fragen kann man an Quellen und Darstellungen, aber auch an unterschiedliche Personen stellen: z. B. an Historiker/innen, an Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, an Künstler/innen, die sich in ihrer Kunst damit beschäftigen. Eigenständige Fragen zu vergangenen Entwicklungen formulieren – so gehst du vor: − Beschäftige dich zunächst eingängig mit den vergangenen Entwicklungen in diesem Kapitel. Notiere die Fragen, die sich dir dazu stellen. − Wähle nun aus deinem Fragenkatalog jene aus, die für dich noch gar nicht beantwortet sind oder für die du gerne eine detailliertere Antwort hättest. − Überlege, welche Auskunftspersonen deine Fragen beantworten könnten, und formuliere sie dementsprechend. Entnazifizierung Die Entnazifizierung bezeichnet zum einen die juristische Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen, die Verurteilung der Täter/innen und die vollständige Entfernung von jeglichen NS-Symbolen. Zum anderen sollten alle ehemaligen NS-Mitglieder aus öffentlichen Ämtern entlassen werden. Außerdem werden damit Maßnahmen bezeichnet, die Politik und Gesellschaft in Deutschland und Österreich dabei unterstützen sollten, sich vom NS-Gedankengut loszusagen. In diesem Zusammenhang fand ein Reeducation-Programm statt: mittels Filmen, Vorträgen und von den alliierten kontrollierten Medien sollten die Menschen zu Demokratinnen und Demokraten „erzogen“ werden. Die Nürnberger Prozesse und Auschwitzprozesse Auf der Potsdamer Konferenz im Juli/August 1945 beschlossen die Alliierten unter anderem die Entnazifizierung Deutschlands. 1945 und 1946 fanden vor dem „Internationalen Militärgerichtshof“ in Nürnberg die Prozesse gegen 24 führende NS-Verbrecher statt. Hitler und Goebbels hatten 1945 Selbstmord begangen. Die Mehrheit der Angeklagten wurde zum Tode verurteilt. Es folgten weitere Prozesse, es dauerte allerdings 17 Jahre, bis 1963 in den sogenannten Auschwitzprozessen die im Arbeits- und Vernichtungslager Auschwitz Verantwortlichen angeklagt und zum Großteil verurteilt wurden. Prozesse in Österreich Die Entnazifizierung in Österreich lässt sich in zwei Phasen einteilen. Österreichische Nationalsozialisten in Führungsfunktionen wurden nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches in Lagern der Westalliierten interniert und zum Teil vor alliierte, vor allem amerikanische Gerichte gestellt. Die sowjetische Besatzungsmacht unterhielt keine Internierungslager in Österreich. Die österreichischen Verfahren wegen NS-Verbrechen fanden zwischen 1945 und 1955 vor Volksgerichten statt, das waren Schöffengerichte, gegen deren Urteil keine Berufung möglich war. Die gesetzlichen Grundlagen, das Verbots- und das Kriegsverbrechergesetz, wurden bereits im Mai und Juni 1945 von der Provisorischen Regierung beschlossen. Das Verbotsgesetz sah vor, dass alle Mitglieder der NSDAP, SA und SS um Entnazifizierung ansuchen mussten. Wer seine Mitgliedschaft unterschlug, musste mit hohen Strafen rechnen. Die Registrierungspflicht sorgte für Unmut, argumentiert wurde z. B. mit der Täter-OpferUmkehr. Schreiben an Bundespräsident Renner (30.3.1946) Täglich reden Ihre Minister von Freiheit, Recht und Gerechtigkeit, aber keiner denkt daran, daß sie selbst die schreiendste Ungerechtigkeit begehen, indem sie für die Nazi ein Rachegesetz mit Rückwirkung gemacht haben und etwas für ein Verbrechen erklären, was zur Zeit der Ausübung vollkommen erlaubt war. M1: Göllner: „Da waren die Nazi ja noch humaner“ – Sichtweisen ehemaliger NationalsozialistInnen auf die Entnazifizierung in Österreich 1945–1957, 2020, S. 400. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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