Alles Geschichte! 7, Schulbuch

91 Im Gegensatz dazu forderten andere eine Aufarbeitung der Kriegsvergangenheit Waldheims und sprachen sich gegen dessen Kandidatur aus. Waldheim wurde schließlich zum Bundespräsidenten gewählt, Österreich blieb während seiner Amtszeit außenpolitisch isoliert. Die Debatten rund um Waldheim stießen in Österreich eine erste breite Auseinandersetzung mit Kriegs- und NS-Verbrechen der eigenen Bevölkerung an. Sie machten das Verschweigen, Verdrängen und Verharmlosen dieser Verbrechen in der Nachkriegszeit deutlich. Es entstanden Initiativen, die für das Gedenken der Opfer bzw. eine Erinnerungskultur eintraten. Die moralische Mitverantwortung Nach einer Aussage des Kärntner Landeshauptmanns und FPÖ-Vorsitzenden Jörg Haider, dass es im Dritten Reich eine „ordentliche Beschäftigungspolitik“ gegeben habe, hielt Franz Vranitzky eine Rede im Nationalrat, in der er als erster Bundeskanzler die Mitschuld von Österreicherinnen und Österreichern an NS-Verbrechen betonte. Bundeskanzler Franz Vranitzky im österreichischen Nationalrat (8. Juli 1991) Über eine moralische Mitverantwortung für Taten unserer Bürger können wir uns auch heute nicht hinwegsetzen. […] Wir bekennen uns zu allen Taten unserer Geschichte und zu den Taten aller Teile unseres Volkes, zu den guten wie zu den bösen. Und so wie wir die guten für uns in Anspruch nehmen, haben wir uns für die bösen zu entschuldigen, bei den Überlebenden und bei den Nachkommen der Toten. M6: Online auf: parlament.gv.at (21.9.2023). M5: Unbekannt: Plakat der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) für Kurt Waldheim anlässlich des Bundespräsidentschaftswahlkampfs 1986 Die Mitverantwortung umfasst auch materiellen Verlust durch Raub oder sogenannte Arisierung, d.h. die Enteignung von Eigentum von – nach den Nürnberger Rassegesetzen – jüdischen Menschen. Umbenennung von Straßen und Plätzen In den letzten Jahren wurde damit begonnen, nach prominenten Nationalsozialisten benannte Straßen umzubenennen. So wurde 2024 die Grazer Kernstockgasse, benannt nach einem beliebten Dichter der Nationalsozialisten, in Maria-Stromberger-Gasse umbenannt, nach einer Krankenschwester im KZ Auschwitz, die Häftlinge unterstützt hatte. Zeitzeuginnen und Zeitzeugen Menschen, die historische Ereignisse beobachtet oder erlebt haben und von diesen berichten, nennt man Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Gespräche mit Opfern des NS-Regimes ermöglichen eine besonders eindrückliche Form der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und NS-Verbrechen. Die noch lebenden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen der NSZeit waren damals Kinder. Sie gehören zur letzten Generation, die diese Zeit miterlebte. Um die Erzählungen zu bewahren, werden diese gespeichert, z.B. in der Sammlung „MenschenLeben“ der Österreichischen Mediathek. Aber auch die Kinder von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen werden heute stellvertretend für ihre Eltern befragt. Jetzt bist du dran: 1. Dekonstruiere auf Grundlage der Rede des Bundeskanzlers Vranitzky (M6) das Argument der Pflichterfüllung eines Soldaten (M4) und die Opferthese (M1 und Autorentext). 2. Analysiere den Slogan auf dem Wahlplakat M5 in Hinblick auf die angesprochene Zielgruppe. Erläutere mögliche Wahlmotive für Waldheim und beziehe Stellung. 3a. Rufe die folgende Filmaufnahme auf: https://hdgoe.at/herr-karl. Schaue dir folgende Ausschnitte aus dem Monolog an: Minute 10:40 bis 12:00 und 20:15 bis 21:52. Vergleiche die Darstellung des Herrn Karl als „Mitläufer“ und dessen Beschreibung des „Anschlusses“ mit den Informationen aus den Kapiteln 3.4 („Wehrverbände“), 3.8 und aus diesem Kapitel. 3b. Bewerte auf Grundlage des Vergleichs die Aussagen des Herrn Karl in Hinblick auf seine ideologische Einstellung. 3c. Interpretiere die Aussage des Bildhauers Hrdlicka (M3) in Hinblick auf die Reaktionen mancher Zuseher/ innen. 4. Rufe das Video „Die Waldheim-Affäre und ihre Folgen“ auf. Löse die interaktiven Aufgaben. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy MjU2NDQ5MQ==