Alles Geschichte! 7, Schulbuch

95 Die verrückten 1920er Jahre? Das Trauma der Kriegsereignisse belastete nach dem Ersten Weltkrieg die Menschen. Das zeigte sich im Alltag, in der Kunst und auch in der Kleidung. In der ländlichen und der konservativen städtischen Bevölkerung wurden in Österreich mehrheitlich Werte und Haltungen aus der Monarchie hochgehalten. In den Großstädten der USA und Europas vollzog sich jedoch ein Wandel im Lebensstil, der sich auch in der Mode zeigte. Besonders die Kleidung der Frauen veränderte sich. Die Emanzipation der Frauen machte Fortschritte, ihr Einsatz als Arbeitskräfte im Krieg hatte ihnen zu einem neuen Selbstbewusstsein verholfen. In den Städten bildete sich eine neue Schicht heraus – gebildete junge Frauen, die oft als Angestellte tätig waren. Die „Flappers“ (vom engl. flattern) provozierten durch Sprache, Kleidung und ihr Verhalten. Die „Garçonne“ trug Kleidung, die Merkmale von Männerkleidung aufwies. Den Alltag wollte man bei einer neu gewonnenen Freiheit vergessen. Die Idee von Emanzipation und neuer Moral stieß aber auch auf Ablehnung. Mahnruf zur sittlichen Gesundung. Die Bischöfe an die Eltern und Volksvertreter. So wenig die katholische Moral gegen eine zweckmäßige und geschmackvolle Kleidung oder selbst auch gegen den Wechsel [= Wandel] der Mode an sich einzuwenden hat, ebenso entschieden und bedingungslos muss sie die gegenwärtig herrschenden Modeunsitten mit ihrer tendenziösen Entblößung oder Herausstellung des Körpers, weil sie letzten Endes einer zynischen, heidnischen Lebensauffassung ihren Ursprung verdanken und auf Reizung geschlechtlicher Sinnlichkeit berechnet sind, verwerfen und mit Abscheu ablehnen. Die gebildete katholische Frau muss sich hier der Verantwortung bewusst sein, die auch sie dem Volk gegenüber als Hüterin reiner Sitte hat. M2: Aus: Neuigkeits Welt Blatt, 18. Juli 1926, S. 3. Online auf: https://anno.onb.ac.at (3.6.2024). Die Zwischenkriegszeit: Neue Sachlichkeit Die städtische weibliche Mode erfuhr einen Stilwandel: weg von einer femininen hin zu einer maskulinen Linie. Lose geschnittene, betont schlichte und schmucklose Hängekleidchen, knielang, mit tiefer Taille waren en vogue. Das forderte von den Frauen aber eine knabenhaft schlanke, schmalschultrige, flachbusige, schmalhüftige und langbeinige Figur. Brust- und Hüftgürtel sollten die weiblichen Formen deshalb weg- und einschnüren. M3: Unbekannt: Zwei Frauen im Garçonne-Stil. Fotografie, 1925 Als Materialien für Tageskleider verwendete man feine, weiche Woll-, Strick- und Trikotstoffe, Rein- und Kunstseiden sowie Kreppgewebe. Für Abendkleider bevorzugte man Tüll, verschiedene Seiden, Lamé und viel Spitze mit Perl- und Paillettenstickerei. Die Kleidung war meist einfärbig. Die meisten Frauen nähten die Kleider selbst nach Schnitten aus Frauenzeitschriften. Wer es sich leisten konnte, kaufte in Kaufhäusern oder ging zur Schneiderin oder zum Schneider. Der Jumper, der Vorläufer des Pullovers, trat einen Siegeszug in der Frauenmode an. M4: Unbekannt: Herrenbadeanzug aus Baumwolle, 1900–1920, Wien Museum Inv.-Nr. M 11777 Jetzt bist du dran: 1. Erläutere, weshalb die Mode und der Lebensstil der „Verrückten 1920er Jahre“ fast ausschließlich in großen Städten zu finden war. Welche Hindernisse in der dörflichen Gesellschaft könnten deren Verbreitung behindert haben? 2. Diskutiert, warum es in konservativen Kreisen starken Widerstand gegen die Mode und den Lebensstil der Frauen gegeben hat. Denkt dabei auch an die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Zeit. Zieht dazu auch die Materialien M1 bis M3 heran. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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