erleben und gestalten Geschichte und Politische Bildung 4
1. Auflage (Druck 0001) © Österreichischer Bundesverlag Schulbuch GmbH & Co. KG, Wien 2026 www.oebv.at Alle Rechte vorbehalten. Jede Art der Vervielfältigung, auch auszugsweise, gesetzlich verboten. Redaktion: Mag. Elisabeth Puntigam-Gröller, Wien; Tülay Tuncel, Wien Herstellung: Oliver Stolz, Wien Umschlaggestaltung und Layout: Jens-Peter Becker, normaldesign GbR, Schwäbisch Gmünd Satz: Arnold & Domnick GbR, Leipzig Druck: Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H., Horn ISBN 978-3-209-12307-7 (erleben und gestalten SB 4 + E-Book) ISBN 978-3-209-12313-8 (erleben und gestalten SB 4 + E-BOOK+) ISBN 978-3-209-13103-4 (erleben und gestalten SB 4 E-Book Solo) ISBN 978-3-209-13106-5 (erleben und gestalten SB 4 E-BOOK+ Solo) erleben und gestalten 4 - Geschichte und Politische Bildung, Schulbuch + E-Book Schulbuchnummer: 225239 erleben und gestalten 4 - Geschichte und Politische Bildung, Schulbuch mit E-BOOK+ Schulbuchnummer: 225240 erleben und gestalten 4 - Geschichte und Politische Bildung, Schulbuch E-Book Solo Schulbuchnummer: 225241 erleben und gestalten 4 - Geschichte und Politische Bildung, Schulbuch E-BOOK+ Solo Schulbuchnummer: 225242 Mit Bescheid des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung vom 2. Oktober 2025, GZ 20240.744.984, gemäß § 14 Absatz 2 und 5 des Schulunterrichtsgesetzes, BGBl. Nr. 472/86, und gemäß den derzeit geltenden Lehrplänen als für den Unterrichtsgebrauch für die 4. Klasse an Mittelschulen und für die 4. Klasse an allgemein bildenden höheren Schulen – Unterstufe im Unterrichtsgegenstand Geschichte und Politische Bildung (Lehrplan 2023) geeignet erklärt. Dieses Werk wurde auf der Grundlage eines zielorientierten Lehrplans verfasst. Konkretisierung, Gewichtung und Umsetzung der Inhalte erfolgen durch die Lehrerinnen und Lehrer. Liebe Schülerin, lieber Schüler, du bekommst dieses Schulbuch von der Republik Österreich für deine Ausbildung. Bücher helfen nicht nur beim Lernen, sondern sind auch Freunde fürs Leben. Kopierverbot Wir weisen darauf hin, dass das Kopieren zum Schulgebrauch aus diesem Buch verboten ist – § 42 Abs. 6 Urheberrechtsgesetz: „Die Befugnis zur Vervielfältigung zum eigenen Schulgebrauch gilt nicht für Werke, die ihrer Beschaffenheit und Bezeichnung nach zum Schul- oder Unterrichtsgebrauch bestimmt sind.“ Umschlagbilder: U1.1: Parlamentsdirektion/Thomas Topf; U1.1: Parlamentsdirektion/Thomas Topf; Illustrationen: Wolfgang Schaar, Grafing; SCHWUPP, Atelier für Malerei und Illustration, Hausbrunn, Arnold & Domnick GbR, Leipzig Kartographie: Kompass Freytag & Berndt GmbH, Wien Bildrechte: © Bildrecht GmbH, Wien 2026 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
www.oebv.at Sabine Mader Andrea Strutz erleben und gestalten Geschichte und Politische Bildung 4 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
2 Inhaltsverzeichnis So arbeitest du mit „erleben und gestalten – Geschichte und Politische Bildung“ 4 Geschichte und Politische Bildung 6 Demokratie in der Zwischenkriegszeit 7 Die Gründung der Ersten Republik 8 Sozialgesetzgebung 10 Die österreichische Verfassung 12 Zerfall der Demokratie 14 Vom Konflikt zur Gewalt 16 Lebenswelten in der Demokratie 18 Lernen mit Konzepten (Zeiteinteilung | Kausalität) 20 Faschismus – Nationalsozialismus – Kommunismus 21 Faschismus in Europa 22 Vom Kommunismus zum Stalinismus 24 Austrofaschistischer Ständestaat 26 Nationalsozialismus in Deutschland 28 „Anschluss“ an das Deutsche Reich 30 NS-Ideologie, Verfolgung und Terror 32 Flucht und Vertreibung 34 Alltagswelten in der NS-Diktatur 36 Geschichtskulturelle Produkte 38 Lernen mit Konzepten (Handlungsspielräume | Macht) 40 Holocaust/Shoah und Genozid 41 Rassismus und Antisemitismus 42 Holocaust und Shoah 44 Romnija und Roma im Holocaust 46 NS-„Euthanasie“ und Widerstand 48 NS-Verbrechen und Mitläufer 50 Beginn des Zweiten Weltkriegs 52 Verlauf des Zweiten Weltkriegs 54 Entwicklung zum globalen Krieg 56 Beispiele weiterer Genozide 58 Lernen mit Konzepten (Belegbarkeit | Perspektivität) 60 Zweite Republik Österreich 61 Neuanfang – die Zweite Republik 62 Politik und Parteien nach 1945 64 Verfassung und Staatsvertrag 66 Politik und Parteien ab 1970 68 Lernen mit Konzepten (Zeitpunkte) 70 Soziale Ungleichheiten und Strategien zu deren Überwindung 71 Wohlfahrtsstaat 72 Überwindung sozialer Ungleichheit 74 Neue Wertehaltungen in der Politik 76 Klima, Umwelt und Migration 78 Lernen mit Konzepten (Verteilung) 80 1 Demokratie 2 Faschismus 3 Holocaust 4 Zweite Republik 5 Soziale Ungleichheiten Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
3 Geschichtskulturen – Erinnerungskulturen – Erinnerungspolitik 81 Erinnerung und Gedenken 82 Umgang mit der NS-Vergangenheit 84 Opfermythos und öffentliche Erinnerungskultur 86 Orte des Erinnerns im Vergleich 88 Instrumentalisierung von Geschichte 90 Mythen, Medien und Unterhaltung 92 Lernen mit Konzepten (Auswahl | Konstruktivität) 94 Aspekte von Globalisierung im 20. und 21. Jahrhundert 95 Friedenssicherung nach 1945 96 Der Ost-West-Konflikt 98 Entstehung von Machtblöcken 100 Urbanisierung in einer globalen Welt 102 Ökologische Herausforderungen 104 Jugend- und Popkultur 106 Weltweite Vernetzung 108 Das Internet – Digitalisierung 110 Entwicklungen im Globalen Süden 112 Lernen mit Konzepten (Arbeit | Lebens-/Naturräume) 114 Europäisierung 115 „Europa“ – ein vielfältiger Begriff 116 Entwicklungen in der Europäischen Union 118 Europa als Wirtschaftsprojekt 120 Friedensprojekt Europa 122 Europa und die EU nach 1989 124 Österreich in der Europäischen Union 126 Europa und Du 128 Lernen mit Konzepten (Diversität | Normen) 130 Gesellschaftlicher Wandel im 20. und 21. Jahrhundert in Österreich 131 Jugendkulturen 132 Die Neue Frauenbewegung 134 Der Kampf für Frieden und gegen Rassismus 136 Umweltbewegungen 138 Extremismus, Populismus sowie Antisemitismus in der Gegenwart 140 Auswirkungen der Globalisierung 142 Lernen mit Konzepten (Zeitverläufe) 144 Politische Mitbestimmung in Gegenwart und Zukunft 145 Demokratische Werte und Grundrechte 146 Politische Institutionen und Formen der Mitbestimmung 148 Machtungleichheiten in politischen Prozessen 150 Mitbestimmung in Gemeinden, Ländern und Bund 152 Lernen mit Konzepten (Struktur) 154 Medien und politische Kommunikation in Gegenwart und Zukunft – Öffentlichkeit und Mediendemokratie 155 Mediendemokratie und Politische Kommunikation 156 Nutzung und Instrumentalisierung von Medien 158 Digitale Medien 160 Lernen mit Konzepten (Kommunikation) 162 Methoden- und Technikkarten 163 Operatoren 171 Quellen- und Literaturverzeichnis 173 Bildquellenverzeichnis 174 6 Erinnerungskulturen 7 Globalisierung 8 Europäisierung 9 Gesellschaftlicher Wandel 10 Politische Mitbestimmung 11 Medien Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
4 So arbeitest du mit „erleben und gestalten – Geschichte und Politische Bildung“ Dieses Schulbuch ist in elf Großkapitel gegliedert. Zur besseren Unterscheidbarkeit ist jedes Großkapitel in einer anderen Farbe gehalten. Ein Großkapitel besteht aus einer Auftaktseite, einem Kapitelteil (auf der Inhaltsseite werden die Themen mit Texten und Materialien veranschaulicht, auf der Übungsseite finden sich dazu abgestimmte Arbeitsaufgaben) und einer Seite für das Lernen mit Konzepten. Modulauftaktseite Auf der Einstiegsseite gibt es ein großes Bild, das dich in das Thema einführt. Du wirst informiert, welche Konzepte im Großkapitel behandelt werden. Unten auf der Seite findest du einen Verweis auf einen Online-Code mit weiterführenden Informationen. Um dorthin zu gelangen, gib den Code einfach in das Suchfeld auf www.oebv.at ein. Alle Materialien sind auch über die QuickMedia App aufrufbar. In der Zeitleiste kannst du wichtige Ereignisse und Jahreszahlen nachlesen, die im Kapitel behandelt werden. Zeitleiste 81 6 q Auswahl | Konstruktivität Geschichtskulturen – Erinnerungskulturen – Erinnerungspolitik Tod von Kaiserin Elisabeth nach einem Attentat in Genf (Schweiz) 1898 Tod von Kaiser Franz Joseph I. 1916 Ausrufung der Ersten Republik Österreich 12. November 1918 „Anschluss“ an NS Deutschland 1938 Moskauer Erklärung 1943 Befreiung des KZ Mauthausen 5. Mai 1945 Eröffnung der KZ Gedenkstätte Mauthausen 1949 Errichtung der Gedenkstätte Yad Vashem, Israel 1953 Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages 15. Mai 1955 Einführung des österreichischen Nationalfeiertags am 26. Oktober 1965 „Waldheim Debatte“ ab 1986 Mahnmal gegen Krieg und Faschismus, Wien 1988 Fall des Eisernen Vorhangs 1989 Erklärung über die Mitverantwortung Österreichs an NSVerbrechen 8. Juli 1991 EU Beitritt Österreichs 1995 Holocaust Mahnmal am Wiener Judenplatz 2000 Mahnmal für die Opfer des Spiegelgrunds und Einrichtung einer Gedenkstätte im OttoWagner Spital 2003 Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin 2005 Denkmal für die Verfolgten der NS Militärjustiz, Wien 2014 Mahnmal für die Opfer des Spiegelgrunds, Otto-Wagner-Spital Wien, Foto, 2019 Für Staat und Gesellschaft ist die Erinnerung an bestimmte wichtige Daten oder Entwicklungen zur Rekonstruktion von Vergangenheit sehr wichtig. Denn Geschehnisse, an die sich niemand mehr erinnert, geraten in Vergessenheit. Auf dem Areal des Otto Wagner Spitals in Wien wurde 2003 ein Mahnmal eingeweiht, das der systematischen Ermordung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der „Euthanasie“ Morde in der Kinderfachabteilung „Am Spiegelgrund“ während der NS Zeit gedenkt. Zur Erinnerung an die hier ermordeten Kinder und Jugendlichen strahlen vor dem Gebäude 772 Lichtsäulen. Im Otto WagnerSpital wurde zusätzlich noch eine Gedenkstätte eingerichtet. Digitales Zusatzmaterial h6n25i Titel des Großkapitels Online-Code Konzepte Kapitelseiten: Inhalts- und Übungsseite Auf der linken Seite bekommst du mithilfe von Texten und vielfältigen Materialien einen Überblick über wichtige Inhalte im Kapitel. Die Informationsspalten am Rand enthalten Begriffserklärungen und bieten zusätzliche Informationen. Auf der rechten Seite gibt es Arbeitsaufträge zum Kapitel, um bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten (Kompetenzen) zu trainieren. Die Abkürzungen der jeweiligen Kompetenzen sind immer angegeben. Wenn du mit einer Methodenkarte (M) oder Technikkarte (T) arbeiten sollst, wird das ausgewiesen. Hinzu kommen Seitenverweise zu verwandten Themen innerhalb des Buches und Online-Codes bzw. Verweise auf die QuickMedia App. Digitales Zusatzmaterial 6hd3jv Kurzbezeichnung des Großkapitels Inhaltsseite Übungsseite Verweis auf die QuickMedia App und den OnlineCode Arbeitsaufträge mit hervorgehobenen Operatoren und Kompetenzauszeichnung Informationsspalte Zusatzinformation Lexikon 1 19 18 Demokratie Digitales Zusatzmaterial h3w59m Lebenswelten in der Demokratie Das allgemeine und gleiche Wahlrecht für Frauen Während des Ersten Weltkriegs waren die meisten Männer als Soldaten eingezogen und Frauen übernahmen ihre Arbeit (z.B. als Briefträgerinnen, Schaffnerinnen, in Banken oder in Rüstungsbetrieben). Frauen erkämpften sich auch die Möglichkeit der politischen Mitbestimmung, so wurde etwa in Österreich 1918 das allgemeine und gleiche Wahlrecht für Frauen verfassungsrechtlich durchgesetzt. Dies war ein wichtiger Schritt in Richtung gesellschaftlicher und rechtlicher Gleichstellung. Bei der Wahl der Konstituierenden Nationalversammlung im Februar 1919 wurden die ersten acht weiblichen Abgeordneten ins Parlament gewählt. Bild der Frau im Wandel Nach der Rückkehr der Männer aus dem Krieg war es für Frauen schwierig, ihre neuen Arbeitsbereiche zu behalten. Dennoch stellten Frauen Mitte der 1920erJahre etwa ein Drittel aller Angestellten. Telefonistin, Sekretärin oder Verkäuferin wurden klassische Frauenberufe. Frauen erhielten für die gleiche Arbeit allerdings weniger Lohn als Männer. Die vielen Arbeiterinnen an Fließbändern in Fabriken waren noch schlechter gestellt. Zusätzlich zur Berufstätigkeit übernahmen Frauen die Hausarbeit und die Kindererziehung, was eine erhebliche Mehrfachbelastung war. Obwohl die Berufstätigkeit von Frauen in dieser Zeit immer selbstverständlicher wurde, gab es für viele Frauen v. a. in ländlichen Gebieten nur wenig positive Veränderungen. Filme, Werbung und Zeitschriften verbreiteten das veränderte Frauenbild einer berufstätigen, selbstständigen und emanzipierten Frau. Dies zeigte sich besonders im Aussehen und in der Mode v. a. bei Frauen, die in Städten lebten: Einige trugen kurze Haare, schminkten sich und legten das einengende Korsett ab. Die Röcke wurden kürzer und manche Frauen trugen auch Hosen. Auch das Verhalten von v. a. jungen Frauen in den Städten änderte sich: Sie gingen aus zum Tanzen, trieben Sport und manche fuhren Auto. Modernes Leben in der Stadt am Beispiel Berlin Während der 1920er-Jahre erlebte Berlin eine starke Modernisierung und zog viele Menschen an. In der Stadt herrschte eine offene und tolerante Atmosphäre, es gab viele Unterhaltungsmöglichkeiten (z.B. Tanzlokale, Kabaretts, Cafés, Kinos). Filmstars wie Marlene Dietrich wurden zum Symbol der modernen Zeit. Neue Modetänze wie z.B. Charleston und Tango lösten große Tanzbegeisterung aus, die Jazz-Musik erfreute sich großer Beliebtheit. In der Kunst entwickelten sich neue Stilrichtungen (z. B. Expressionismus). Kunst, Kultur und Literatur wurden als Plattform für Kritik gegen Missstände und Politik genutzt. Die Zwischenkriegszeit ist aber auch gezeichnet von wirtschaftlichen Krisen, der Ablehnung des Parlamentarismus und der Demokratie sowie dem Aufstieg radikaler Parteien. Mit der nationalsozialistischen Machtergreifung endete auch die kulturelle Vielfalt. Von Frauen forderte man nun ein „Zurück an den Herd“ und das Gebären vieler Kinder. O Faschismus, S.36 Marlene Dietrich, Foto, 1930 P Klassische Frauenberufe: sind v.a. personenbezogene, oftmals gering bezahlte Dienstleistungsberufe z.B. in den Bereichen Erziehung, Soziales, Gesundheitswesen, Büroarbeit, Handel, Reinigung ÷ Der Bubikopf war eine Kurzhaarfrisur für Mädchen und Frauen, die in den 1920er-Jahren zum Merkmal einer emanzipierten, selbstbestimmten und modernen Frau wurde. Porträt der US-amerikanischen Schauspielerin Louise Brooks (1906–1985), die in Stummfilmen mit dem damals modernen Bubikopf auftrat, Foto, 1927 P Expressionismus: Stilrichtung der bildenden Kunst und Literatur, im Mittelpunkt des Schaffens steht die persönliche emotionale Ausdrucksfähigkeit æ Analysiere mithilfe von M15 die Statistik in Hinsicht auf die Anzahl der weiblichen Abgeordneten im Parlament zwischen 1919 und 2025. Welche Entwicklungen fallen dir auf? æ Untersuche die Zahlen der weiblichen Abgeordneten nach den im Parlament vertretenen Parteien und vergleiche diese Angaben miteinander. æ Überprüfe, ob die Zahlen der weiblichen Abgeordneten nach den im Parlament vertretenen Parteien sich seit 2025 verändert haben. Falls dies zutrifft, setze die gefundenen Zahlen in Bezug zu den Angaben in der Statistik aus dem Jahr 2025 und stelle die Unterschiede dar. Informationen findest du dazu auf der Parlamentshomepage, siehe die QuickMediaApp bzw. Online. (HMK) A11 M15 æ Erkläre anhand des Schulbuchtextes die Veränderung des Frauenbildes nach dem Ersten Weltkrieg, die v.a. in den Städten wahrnehmbar war. æ Setze dich anhand des Abschnittes „Bild der Frau im Wandel“ und der Fotos mit der Vorstellung von einer selbstständigen und emanzipierten Frau auseinander, die in den 1920er-Jahren u.a. in Zeitschriften und Filmen verbreitet war. (HMK) A12 40 30 20 10 1918 Provisorische National- versammlung 1918 12. November: Einführung des Frauenwahlrechts 1919 Konstituierende National- versammlung (ab 1920 Nationalrat) 1934−1945 Dollfuß-Schuschnigg- Diktatur, NS-Zeit Frauenanteil im Nationalrat Frauenanteil in Prozent Frauenanteil nach Parteien (Stand März 2025) 1918 1930 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2019 2025 6,8 4,8 10,9 26,8 39,3 36,1 FPÖ 23 % 13 Frauen ÖVP 37 % 19 Frauen SPÖ 41 % 17 Frauen 23 % NEOS 44 % 8 Frauen GRÜNE 56 % 9 Frauen Frauen im Nationalrat 1919–2025, Quelle: Österreichisches Parlament, Grafik 2025 Seitenverweis Hinweis auf Methoden- oder Technikkarte Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
5 Lernen mit Konzepten Am Ende jedes Großkapitels gibt es eine Seite mit Aufgaben. Diese helfen dir, historische und politische Zusammenhänge zu verstehen und einzuordnen. Lernen mit Konzepten Politische Mitbestimmung 154 q Struktur Jedes System braucht eine bestimmte Ordnung, um gut funktionieren zu können. Dies betrifft die Politik, die Wirtschaft oder auch die Gesellschaft. Häufig bestehen innerhalb von Strukturen auch ganz bestimmte Normen und Werte. æ Ermittle auf welcher Ebene Gemeinden über die Gestaltung von öffentlichen Räumen bestimmen können. Stellt euch vor, dass ihr alles bestimmen könntet… æ Beschließt in der Gruppe, was euch wichtig wäre, z.B. ein Spielplatz oder eine Skaterbahn. Diskutiert, welche Strukturen dafür notwendig sind. Für wen soll der Bereich sein? Welche gesetzlichen oder andere Voraussetzungen braucht es? Was braucht es, dass die Nutzung des Bereichs ohne Probleme und Konflikte funktioniert? æ Notiere dir wichtige Erkenntnisse der Überlegungen und Diskussion. Erörtert Notwendigkeiten und Grenzen von Strukturen, um Dinge umzusetzen. Möglichkeiten der Mitbestimmung und Gestaltung von Strukturen Habt Ihr schon gehört, die Gemeinde überlegt, wie sie öffentliche Räume für die Bürgerinnen und Bürger, für Groß und Klein, für Jung und Alt, neu gestalten soll. Was meint ihr? Wer soll mitbestimmen? Luca Neela Vincent Amina 163 Methoden- und Technikkarten Methoden- und Technikkarten – Nenne das mögliche Thema des Bildes. – Arbeite aus der Bildbeschreibung oder dem beigefügten Text wichtige Angaben heraus: z. B. Auftraggeberin bzw. Auftraggeber, Künstlerin bzw. Künstler, zeitliche Einordnung. – Beschreibe die Wirkung des Bildes auf dich. – Analysiere Dinge, die dir auffallen: z.B. Haltung einer Person, Kleidung, verschönte oder realistische Darstellung, Tätigkeiten. – Ordne das Dargestellte (Personen, Gegenstände, Ort etc.) einem historischen oder politischen Zusammenhang zu. – Untersuche die Art und Weise der Darstellung: z.B. den Einsatz von Farben, die Anordnung von Personen und Gegenständen (wer oder was befindet sich im Zentrum). – Nimm dazu Stellung, inwiefern dieses Bild zum behandelten Thema passt. – Setze dich mit der möglichen Wirkung des Bildes auf Betrachterinnen und Betrachter zum Zeitpunkt seiner Entstehung auseinander. – Beurteile, ob mit der Darstellung ein bestimmter Zweck erreicht werden sollte. – Formuliere Fragen, die das Bild aufwirft. M1 Methodenkarte: Bildliche Quellen – Ermittle das Thema des Comics. – Arbeite die Haupt- und Nebenhandlungen heraus. Beachte dabei den Zusammenhang von Bild und Text. – Beschreibe das Aussehen der dargestellten Figuren. – Arbeite mögliche historische oder reale Vorbilder heraus. – Ordne das Dargestellte (Personen, Gegenstände, Ort etc.) einem historischen oder politischen Zusammenhang zu. – Untersuche, ob sich durch die Aneinanderreihung der Bilder ein historischer, politischer oder auch zeitlicher Verlauf ergibt. – Analysiere die Form der Darstellung: z.B. Farben, Gruppierung der Einzelbilder, Sprechblasen. – Untersuche, ob der Comic zu einem bestimmten Zweck verfasst wurde. – Beurteile anhand der Bild- und Textelemente, ob Teile der Geschichte erfunden sind oder wichtige historische Fakten fehlen. – Nimm Stellung dazu, ob der Comic eine geeignete Form der Darstellung dieses Themas ist. M2 Methodenkarte: Comic Methoden- und Technikkarten Am Ende von erleben und gestalten findest du Methodenkarten (M) und Technikkarten (T) für deine Aufgaben im Fach Geschichte und Politische Bildung. Sie bieten dir Unterstützung für die Umsetzung der kompetenzorientierten Arbeitsaufgaben auf den Kapitelseiten. 170 Methoden- und Technikkarten – Sammle ausreichend Informationen und Argumente zum Thema. – Arbeite Pro- und Contra-Argumente heraus, damit deine Meinung überzeugend wirkt. T1 Technikkarte: Diskussion 1– Beteilige dich aktiv an der Diskussion. – Höre aufmerksam zu und lasse andere ausreden. Beziehe deine nächste Wortmeldung auf die Vorrednerin bzw. den Vorredner. – Sprecht nicht durcheinander. – Bleibe sachlich und beim Thema. Tipp: Du kannst deine Meinung überdenken und auch ändern. – Verwende für deine Wortmeldungen „Ich-Botschaften“, soweit es ausdrücklich um deine persönlichen Gefühle geht. – Vermeide „Du-Botschaften“, durch die deinem Gegenüber Schuld oder Verantwortung zugeschoben wird. – Zwischenrufe oder Beleidigungen sind tabu. – Erstelle eine Liste mit Informationen, die du bereits zu einem bestimmten Thema gesammelt hast bzw. mit Punkten, die dir noch fehlen. Formuliere dazu Stichwörter, die du in eine Suchmaschine eingeben möchtest. – Lege einen Zeitrahmen für deine Arbeit am PC und die anschließende Bearbeitung der gefundenen Materialien (z.B. für die Erstellung einer Präsentation) fest. – Behalte bei der Suche immer dein Thema im Auge. – Ermittle die Anbieterinnen bzw. die Anbieter der Internetseiten (z.B. Privatperson, Organisation). Beurteile, ob diese mit ihren Informationen bestimmte Absichten verfolgen. Tipp: Vertrauenswürdige Informationen findest du beispielsweise auf Seiten offizieller Organisationen. – Bewerte, ob die Startseite eine schnelle Orientierung zulässt bzw. die Navigation sinnvoll und hilfreich ist. – Verwende weiterführende Links und Suchmöglichkeiten, die auf einer Seite angeboten werden, wenn sie für dein Thema hilfreich sind. – Achte bei der Ausarbeitung deiner Arbeitsergebnisse auf Übersichtlichkeit, Sachlichkeit, klare Struktur und eine überschaubare Stoffmenge. – Gib bei der Darstellung deiner Rechercheergebnisse alle verwendeten Internetseiten an. Verwende dafür die URL (http://www…) und das Datum deiner Suche. T2 Technikkarte: Internetrecherche 1 1 – Kläre, was du in Erfahrung bringen möchtest. – Formuliere dazu Fragen und stelle diese in einem Fragebogen zusammen. Tipp: Wähle möglichst einfache Fragen, sodass klare Antworten möglich sind. – Lege fest, ob du Antwortmöglichkeiten vorgeben möchtest. – Finde Personen in deiner Schule oder deinem Umfeld, die du befragen möchtest. Tipp: Vor der Durchführung der Umfrage musst du die Schule bzw. die Direktion informieren. – Werte die Umfrage aus: Fasse dazu die Ergebnisse der einzelnen Befragungen zusammen. Achtung: Die Auswertung muss wegen des Datenschutzes anonym stattfinden. – Stellt die Ergebnisse z.B. mithilfe eines Plakats, einer Wandzeitung oder eines Artikels in der Schülerzeitung dar. Tipp: Nutzt für die Darstellung eventuell einen PC (z.B. Diagramme, Statistiken). T3 Technikkarte: Umfrage 1 1 QuickMedia App 1. Scanne den QR-Code und lade die App auf dein Smartphone oder dein Tablet. 2. Scanne deinen Buchumschlag oder wähle dein Schulbuch in der App-Medienliste aus. 3. Scanne eine mit gekennzeichnete Buchseite oder wähle ein digitales Material aus der App-Medienliste aus. 4. Spiele die digitalen Materialien ab. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
6 Geschichte und Politische Bildung Geschichte des 20. und 21. Jh. – die unmittelbare Vergangenheit In diesem Schuljahr stehen die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen im 20. und 21. Jh. im Mittelpunkt des Gegenstands Geschichte und Politische Bildung. Für die Erforschung der unmittelbaren Vergangenheit (Zeitgeschichte) sind Fotos und Filmmaterial sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen (Oral History) wesentliche Quellen. Historische und politische Kompetenzen Um dein Wissen richtig anwenden und historische und politische Zusammenhänge besser verstehen zu können, wirst du auch in diesem Schuljahr mit Hilfe der fachspezifischen Kompetenzen deine Fähigkeiten weiter vertiefen. Historische Kompetenzen Kompetenz Abkürzung Ziel Historische Methodenkompetenz HMK eigenständiger Umgang mit historischen Quelle Historische Sachkompetenz HSK Kennenlernen von historischen Begriffen und Konzepten Historische Orientierungskompetenz HOK Lernen von Geschichte hilft beim Verstehen der Gegenwart Historische Fragekompetenz HFK Fragen an die Vergangenheit stellen können Kompetenzen der Politischen Bildung Kompetenz Abkürzung Ziel Politikbezogene Methodenkompetenz PMK Grundlagen der Politikanalyse kennen und anwenden Politische Sachkompetenz PSK Kennenlernen von Begriffen und Konzepten der Politik Politische Handlungskompetenz PHK eigene Meinungen, Werte und Interessen formulieren und vertreten können; Angebote verschiedener Einrichtungen kennen und nutzen Politische Urteilskompetenz PUK ein selbstständiges und begründetes Urteil treffen können Eine Mutter und ihre Kinder waten durch einen Fluss in der südvietnamesischen Provinz Binh Dinh, um im Vietnamkrieg einem US-Bombenangriff zu entkommen, Pressefoto des Jahres 1965, World Press Photo Award ÷ Vieles, was in der Öffentlichkeit passiert, wird durch Politik geregelt. Dennoch ist es schwierig zu erklären, was der Begriff „Politik“ konkret bedeutet. Die Politik beschäftigt sich mit Regeln des Zusammenlebens in der Gesellschaft. Politische Regeln werden immer wieder an neue Situationen und Bedürfnisse von Menschen angepasst. Durch die Möglichkeiten der demokratischen Mitbestimmung kannst auch du dazu beitragen, dass Regeln geändert werden. P Kompetenz: Fähigkeit, Fertigkeit und Bereitschaft bestimmte Probleme zu lösen ÷ Neben der Auszeichnung der trainierten Kompetenz können sich noch folgende Angaben bei den Arbeitsaufträgen finden: LK (Lesekompetenz), AW (Arbeitswissen), FÜ_… (Fächerübergreifende Übung mit …) und Kreativaufgabe. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
7 q Kausalität | Zeiteinteilung 1 Demokratie in der Zwischenkriegszeit Verzichtserklärung Kaiser Karls I. 11. November 1918 Ausrufung der Republik DeutschÖsterreich 12. November 1918 Friedensvertrag von Saint- Germain 10. September 1919 Österreichische Bundesverfassung 1920 Kärntner Volksabstimmung 10. Oktober 1920 Burgenland kommt zu Österreich 1921 Völkerbundanleihe 1922 Einführung des Schilling als neue Währung 1925 Urteil von Schattendorf 14. Juli 1927 Justizpalastbrand 15. Juli 1927 Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929 Ausschaltung des Parlaments 1933 Februaraufstand 12.–15. Februar 1934 Austrofaschistischer „Ständestaat“ 1934–1938 „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutschland 12. März 1938 Ausrufung der Republik, Graz, 12. November 1918, Foto Versammlung am 12. November 1918 auf dem damaligen Franzensplatz vor dem Grazer Schauspielhaus aus Anlass der Ausrufung der Republik. Als Bekenntnis zur Republik Österreich beschloss der Grazer Gemeinderat wenige Tage nach der Republikfeier, den Franzensplatz in Freiheitsplatz umzubenennen. Digitales Zusatzmaterial h3h4b4 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
8 Demokratie Die Gründung der Ersten Republik Als sich die Niederlage der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg abzeichnete, begann die Monarchie endgültig zu zerfallen. Ungarn, das Königreich Böhmen sowie die Gebiete des späteren Königreichs Jugoslawien erklärten Ende Oktober 1918 ihre Unabhängigkeit. Kaiser Karl I. verzichtete am 11. November 1918 auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften. Einen Tag später, am 12. November 1918, rief die provisorische Nationalversammlung vor dem Parlament in Wien die demokratische „Republik Deutschösterreich“ aus. Festlegung der Staatsgrenzen im Friedensvertrag von 1919 Die Grenzen der Republik bestimmte der Friedensvertrag von Saint Germain (1919). Ein Zusammenschluss mit Deutschland wurde verboten, die Bezeichnung „Deutschösterreich“ musste in „Österreich“ abgeändert werden. Über den Verlust von Gebieten mit vorwiegender deutschsprachiger Bevölkerung waren viele enttäuscht. Viele dieser Regionen fielen an andere Nachfolgestaaten des zerfallenen Habsburgerreiches. Südtirol und das Kanaltal kamen zu Italien, das Sudetenland zur Tschechoslowakischen Republik. Die Untersteiermark ging an das neu gegründete Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS-Staat, später Jugoslawien). Das Königreich beanspruchte die zweisprachigen Gebiete in Südkärnten, seine Besatzungstruppen wurden im Frühjahr 1919 im so genannten „Kärntner Abwehrkampf“ aber zurückgedrängt. In einer Volksabstimmung vom 10. Oktober 1920 stimmten rund 60 % der betroffenen Bevölkerung, darunter auch viele Kärntner Sloweninnen und Slowenen, für den Verbleib bei Österreich. Das Burgenland (deutschsprachiges Westungarn) wurde Österreich zugesprochen, durch eine Volksabstimmung 1918/1919 verblieb Ödenburg (Sopron) aber bei Ungarn. Wirtschaftliche Probleme Die wirtschaftliche Lage nach dem Krieg war schlecht. Es herrschten hohe Arbeitslosigkeit, Inflation und vielfach Hunger. Erschwerend war, dass Österreich die Staatsschulden der ehemaligen Monarchie Österreich-Ungarn übernehmen und aufgrund der Kriegsschuld Reparationszahlungen leisten musste. Nach Auflösung der Donaumonarchie gingen viele Absatzmärkte und wirtschaftliche Grundlagen verloren: So gehörten die fruchtbaren Agrargebiete nun zu Ungarn und frühere Industrieregionen wie auch die großen Kohlevorkommen lagen in der neugegründeten Tschechoslowakei. Aufgrund dieser Situation zweifelten viele an der wirtschaftlichen, aber auch an der politischen Lebensfähigkeit der Republik. Ausrufung der „Republik Deutschösterreich“ am 12. November 1918 in Wien, Foto Die österreichische Delegation geleitet von Karl Renner (Mitte) nach Unterzeichnung des Friedensvertrags, Foto, 1919 ÷ Die Bezeichnung „Republik Deutschösterreich“ war ein Zeichen für den Zweifel vieler Menschen daran, dass die Republik Österreich wirtschaftlich und politisch überleben könne. Mit dem Begriff wollte man sich auch von nichtdeutschsprachigen Gebieten der ehemaligen Monarchie abgrenzen, vielfach erwartete man einen baldigen Zusammenschluss mit Deutschland. P Saint-Germain: Vorort von Paris, wo im September 1919 der Friedensvertrag zwischen den Siegermächten und Österreich unterzeichnet wurde. Österreich hatte keine Mitsprache bei den Friedensverhandlungen. P Inflation: Geldentwertung verbunden mit einer Preissteigerung P Reparation: finanzielle und wirtschaftliche Entschädigungsleistungen, die ein besiegtes Land an Siegermächte für Zerstörungen im Krieg leisten muss ÷ Die im Friedensvertrag festgelegte Kriegsschuld und damit verbundene Maßnahmen wurden von Teilen der Bevölkerung und von einigen politischen Gruppierungen nicht anerkannt und trugen zur Entwicklung eines ungerechtfertigten Opfermythos bei. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
1 9 æ Benenne mithilfe des Schulbuchtextes und der Karte Gebiete, die Österreich beanspruchte. æ Arbeite anhand des Textes und der Karte jene Regionen heraus, die Österreich im Friedensvertrag von 1919 zugesprochen wurden. æ Formuliere eine Frage, die die Geschichtskarte rund 100 Jahre nach Gründung der Republik aufwirft. (HMK, HFK) A1 Gebietsansprüche Deutschösterreichs und Grenzen der Republik Österreich gemäß Friedensvertrag 1919 Am 11. November 1918 verfasste der bisherige Kaiser Karl I. eine Verzichtserklärung, die auf Plakaten öffentlich bekannt gegeben wurde. Lies die Abschrift des Plakats aufmerksam durch. æ Untersuche mithilfe von M16 (Textquelle) die Aussagen von Karl I. zur künftigen Staatsform Österreichs und seine Haltung zur weiteren Entwicklung des Staates. æ Beurteile die Bedeutung der Verzichtserklärung für die Geschichte der Ersten Republik. (HMK, HOK) A2 M16 Seit meiner Thronbesteigung war ich unablässig bemüht, meine Völker aus den Schrecknissen des Krieges herauszuführen, an dessen Ausbruch ich keinerlei Schuld trage. Ich habe nicht gezögert, das verfassungsmäßige Leben wieder herzustellen und habe den Völkern den Weg zu ihrer selbständigen staatlichen Entwicklung eröffnet. Nach wie vor von unwandelbarer Liebe für alle meine Völker erfüllt, will ich ihrer freien Entfaltung meine Person nicht als Hindernis entgegenstellen. Im Voraus erkenne ich die Entscheidung an, die Deutschösterreich über seine künftige Staatsform trifft. Das Volk hat durch seine Vertreter die Regierung übernommen. Ich verzichte auf jeden Anteil an Staatsgeschäften. Gleichzeitig enthebe ich meine österreichische Regierung ihres Amtes. Möge das Volk von Deutschösterreich in Eintracht und Versöhnlichkeit die Neuordnung schaffen und befestigen. Das Glück meiner Völker war von Anbeginn das Ziel meiner heißesten Wünsche. Nur der innere Friede kann die Wunden dieses Krieges heilen. Verzichtserklärung von Kaiser Karl I., 11. November 1918 (Abschrift) Deutsches Reich Deutsches Reich Ts c h e c h o s o wa k e Sudeten and Sudetenland Deutsch- Böhmen Deutsch- Südmähren Ungarn Burgenand Untersteiermark Seeland Kanaltal Südtirol Italien Schweiz Wien München Prag Brünn Iglau Salzburg Innsbruck Klagenfurt Maribor Donau Drau Rhein Bodensee Donau Inn Elbe Oder 1921von Ungarn zu Ö terrech Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS-Staat) Ödenburg (Sopron) bebt be Ungarn Abstimmung Kärnten 1920 l i l l s i l i i Maßstab 1:8 000 000 0 80 160 km Ansprüche 1918/1919 ohne Abstimmung verlorene Gebiete 1919 Österreich heute Abstimmungsgebiete Staatsgrenze Bundesländergrenzen Maßstab 1:8 000 000 0 80 160 km Ansprüche 1918/1919 ohne Abstimmung verlorene Gebiete 1919 Österreich heute Abstimmungsgebiete Staatsgrenze Bundesländergrenzen Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
10 Demokratie Sozialgesetzgebung Die Anfänge des Sozialstaates in Österreich Zur Verbesserung der schwierigen Lage der Arbeiterinnen und Arbeiter wurden 1919/20 Sozialgesetze beschlossen. Diese wurden in Europa damals als sehr fortschrittlich angesehen. Das waren z.B. das Verbot der Kinderarbeit, die Einführung des 8-Stunden-Arbeitstages, die Invalidenentschädigung, eine staatliche Arbeitslosenunterstützung oder Urlaub für Arbeiterinnen und Arbeiter. Neben der Schaffung von Sozialgesetzen war die Durchsetzung bzw. Einführung des Wahlrechts für Frauen im Jahr 1918 eine wichtige politische Neuerung der Ersten Republik. Moderner sozialer Wohnbau in Wien Unter sozialdemokratischer Führung errichtete die Gemeinde Wien rund 400 Wohnbauten in der Ersten Republik. Die Wohnungen in diesen Wohnanlagen wurden modern gestaltet: direktes Licht in allen Räumen, fließendes Wasser, Toiletten, Gemeinschaftsräume, großzügige Höfe mit Grünflächen. Einen großen Stellenwert hatte die Gesundheitspolitik, die Stadtregierung bot beispielsweise kostenlose medizinische Versorgung an und richtete Mütterberatungsstellen ein. Auch das Bildungswesen sollte durch eine Schulreform und neu errichteten Büchereien verbessert werden. (Rotes Wien). Internationale Finanzhilfe für Österreich – die Völkerbundanleihe Nach Kriegsende stiegen die Preise enorm an, schließlich sogar täglich. Durch die Inflation verloren die Löhne stark an Kaufkraft, das heißt, das Geld wurde weniger wert. Die Menschen konnten sich also viel weniger leisten, viele mussten hungern. Zur Bekämpfung der Inflation erhielt Österreich 1922 vom Völkerbund eine Anleihe (Kredit). Der Erhalt des Geldes war u.a. an die Bedingung geknüpft, ein strenges Sparprogramm durchzuführen. Mit Jänner 1925 wurde auch eine neue Währung, der Schilling, eingeführt. Um weitere Staatsschulden zu vermeiden, wurden Steuern erhöht bzw. neue Steuern eingeführt. Etwa ein Drittel der Beamtinnen und Beamten wurde abgebaut und Löhne, Gehälter und Pensionen wurden gekürzt. Der Börsenkrach 1929 und die Weltwirtschaftskrise Die Weltwirtschaftskrise war eine Finanzkrise, die sich auf die ganze Welt auswirkte. Viele Menschen hatten damals Aktien gekauft und verloren durch den Börsencrash im Oktober 1929 ihr ganzes Erspartes (Schwarzer Freitag). Die Folgen waren u.a. Massenarbeitslosigkeit und Armut, auch in Österreich und Deutschland litten viele Menschen Hunger oder wurden obdachlos. Die schlechte wirtschaftliche und soziale Lage wirkte sich auch auf ihre politische Einstellung aus. Radikale politische Parteien wie z.B. die Nationalsozialistische Partei (NSDP) erhielten bei Wahlen immer mehr Zuspruch. Dies führte beispielsweise in Deutschland 1933 zur Machtergreifung durch die NSDAP. Karl-Marx-Hof, Wien, 19. Bezirk, Gemeindebau erbaut 1927–1930, Foto, 2023 P Invalidenentschädigung: sozialpolitische Maßnahme (Gesetz) zur Versorgung von Soldaten, die im Ersten Weltkrieg dauerhaft verletzt wurden und nur mehr eingeschränkt bzw. gar nicht mehr arbeiten konnten P Rotes Wien: Bezeichnung für die Zeit von 1920 bis 1934, während der die Sozialdemokratie mit absoluter Mehrheit in Wien regierte P Schwarzer Freitag: Bezeichnung für den 25. Oktober 1929; das war der Tag, an dem in Europa bekannt wurde (aufgrund der Zeitverschiebung), dass Aktien und Wertpapiere an der New Yorker Börse massive Kursverluste erlitten hatten und die Börse zusammengebrochen war ÷ Der Schilling löste die Krone ab und war von 1925 bis 1938 und von 1945 bis zum 28. Februar 2002 gesetzliches Zahlungsmittel in Österreich. Schilling Münze, Foto, 2014 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
1 11 æ Arbeite aus der Rede die Gründe für die Einführung der Schillingwährung und die damit verbundenen Hoffnungen für Österreich heraus. æ Recherchiere (z.B. im Internet) Gründe für die Einführung des Euros (2002). æ Vergleiche diese mit der Schillingeinführung. (HMK) A3 æ Arbeite aus dem Schulbuchtext und anhand der Beschreibung der Infrastruktur des neu errichteten Karl-MarxHofes Kennzeichen des modernen sozialen Wohnbaus in der Ersten Republik heraus. æ Verfasse mithilfe des Textes zum Karl-Marx-Hof und des Schulbuchtextes eine eigene Erzählung. Nimm die Sicht eines 14-jährigen Teenagers ein, der damals mit den Eltern in die neu errichtete Wohnanlage eingezogen ist. Was könnte ihr bzw. ihm besonders gut gefallen haben? Beziehe dabei auch die beiden Fotos von Wohnanlagen auf dieser Doppelseite mit ein. Du kannst dir dazu auch ein Kurzvideo zum Karl-Marx-Hof online oder über die QuickMedia App anschauen. A4 T1 Ich denke […] an den heißen Sommer des Jahres 1922, an die Zeit, wo die Krone unaufhaltsam stürzte, […] wo das Ende Österreichs gekommen schien, an die Zeit, wo der Bevölkerung die Ersparnisse, das Einkommen, der Gehalt zwischen den Fingern zerrannen […]. Das Gesetz möge dazu führen, daß dieses Geld […] ein starkes Rückgrat für unsere ganze Wirtschaft […] werde. Der Schilling sei eine gute österreichische Münze und dem Auslande gegenüber der Beweis für die Gesundung unserer Wirtschaft! Rede des Finanzministers im Parlament zum Schillingsrechnungsgesetz, Wiener Zeitung, 17.12.1924, S.1 f. æ Diskutiert in der Klasse wie sich das Wohnen bzw. Wohnungen und Wohnhausanlagen heute von damals unterscheiden. (HMK) Beschreibung der Infrastruktur des Karl-Marx-Hofs, Wohnhofanlage in Wien, Heiligenstadt: „Ursprünglich gab es im Karl-Marx-Hof 1 382 Wohnungen für etwa 5 000 Menschen. Heute sind es durch Zusammenlegungen noch 1 272 Wohnungen. Der Karl-Marx-Hof verfügte von Beginn an über zwei Zentralwäschereien mit 62 Waschständen, zwei Bäder mit 20 Wannen und 30 Brausen, zwei Kindergärten, eine Zahnklinik, eine Mutterberatungsstelle, eine Bibliothek und ein Jugendheim, ferner über ein eigenes Postamt, eine Krankenkassenstelle mit Ambulatorium, eine Apotheke und 25 Geschäftslokale.“ Karl-Marx-Hof, dasrotewien.at: Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie Lassalle-Hof, Wien, 2. Bezirk, erbaut 1925–1926, Foto, 2011 Digitales Zusatzmaterial h3rn5z Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
12 Demokratie Die österreichische Verfassung Das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) wurde im Oktober 1920 beschlossen. Es war das Ergebnis schwieriger Verhandlungen und wurde von den Parteien als größtmöglicher Kompromiss angesehen. Mit einigen Abänderungen ist das Gesetz bis heute in Kraft. Die österreichische Verfassung besteht aus vier Grundsätzen (Prinzipien): Demokratisches Prinzip Österreich ist eine demokratische Republik. Das Staatsvolk wählt das Staatsoberhaupt, den Nationalrat, die Landtage und Gemeinderäte sowie seine Abgeordneten im EU-Parlament. Direkte Beteiligung am politischen Prozess ist möglich z.B. durch Volksabstimmung oder Volksbegehren. Alle Bürgerinnen und Bürger sollen sich frei an der politischen Meinungsbildung und an Wahlen beteiligen können und die Möglichkeit haben, auch selbst politisch aktiv zu werden. Republikanisches Prinzip Österreich ist eine Republik. Das Staatsoberhaupt ist auf Zeit gewählt. Seit der Verfassungsänderung 1929 wird die Bundespräsidentin bzw. der Bundespräsident direkt vom Volk für sechs Jahre gewählt und kann höchstens einmal wiedergewählt werden. Bundesstaatliches Prinzip Es gibt eine Aufgabenteilung zwischen der gesamtstaatlichen Regierung und den neun österreichischen Bundesländern. Über den Bundesrat wirken die Länder auch an der Gesetzgebung für den Bund mit, seine Mitglieder werden von den Landtagen entsendet. Das Bundes-Verfassungsgesetz legt die Zuständigkeiten von Bund und Ländern (sogenannte Kompetenzverteilung) fest. Darin wird bestimmt, wo es einheitliche Bestimmungen für ganz Österreich geben soll und welche Angelegenheiten je nach den Bedürfnissen in den Bundesländern unterschiedlich geregelt werden können. Alles, was in der Verfassung nicht ausdrücklich als Bundesangelegenheit festgelegt ist (z.B. Außenpolitik, Gesundheitswesen), ist Landessache (z.B. Jugendschutz, Bauordnung). Rechtsstaatliches Prinzip Die staatliche Verwaltung und Gerichtsbarkeit sind an die Gesetze gebunden und dürfen nur aufgrund von Gesetzen ausgeübt werden. Alle Gesetze müssen der Verfassung entsprechen. Der Verfassungsgerichtshof überprüft, ob Gesetze mit der Verfassung in Einklang stehen. Er wacht auch darüber, dass sich die öffentliche Verwaltung, dazu zählen beispielsweise Lehrerinnen und Lehrer sowie Polizistinnen und Polizisten, an die Gesetze hält. Änderung des Bundes-Verfassungsgesetzes 1929 Die Novelle war ein Ausdruck der damaligen politischen Diskussion über die Ausübung der politischen Macht in Österreich und brachte eine Machtverschiebung vom Parlament zum Staatsoberhaupt. Seine Rechte wurden erweitert: Sie oder er ernennt die Regierung (bis 1929 vom Parlament gewählt) und kann diese entlassen bzw. den Nationalrat einberufen und auflösen. Seither wird die Bundespräsidentin bzw. der Bundespräsident nicht mehr von der Bundesversammlung, sondern direkt vom Volk auf sechs Jahre gewählt. Sie oder er hat den Oberbefehl über das Bundesheer. Die Stellung des Verfassungsgerichtshofes wurde 1929 ebenfalls gestärkt. ÷ Eine Verfassung bildet die Rechtsgrundlage eines Staates. In ihr sind die Staatsform (z.B. Republik, Monarchie), der Aufbau des Staates (bundesstaatlich, zentralistisch), die Staatsorgane (z.B. Parlament, Präsidentin bzw. Präsident, Gerichte) und deren Aufgaben sowie die Stellung und Rechte der Bürgerinnen und Bürger festgeschrieben. Wählen in der Wahlkabine, Symbolfoto Digitales Zusatzmaterial h3sm48 P Novelle: Gesetzesergänzung, Nachtrag zu einem bereits bestehenden Gesetz ÷ Informationen zur Geschichte des Bundes-Verfassungsgesetzes findest du auch im Haus der Geschichte Österreich/Digitales Museum. Siehe dazu die QuickMedia App bzw. online. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
1 13 Der Verfassungsrechtler Hans Kelsen formulierte die österreichische Bundesverfassung. Karl Renner (Sozialdemokrat) und Michael Mayr (Christlichsoziale Partei) wirkten ebenfalls an der Ausarbeitung mit. Beide hatten wichtige Ämter inne: Renner war Staatskanzler der Ersten Republik und österreichischer Bundespräsident von 1945–1950 und Mayr war 1920–1921 der erste Bundeskanzler Österreichs. æ Gib die Grundprinzipien der Verfassung in eigenen Worten wieder. æ Diskutiert in der Klasse, inwiefern diese Prinzipien der österreichischen Verfassung für euch und euer weiteres Leben von Bedeutung sind, denkt z.B. an das Wahlrecht. Gestaltet mit euren Ergebnissen ein Plakat. (HOK) A5 T1 æ Lest den Text aufmerksam durch und arbeitet gemeinsam heraus, mit welchen Argumenten und Maßnahmen Hans Kelsen eine Einigung für den Beschluss der Verfassung erreichen konnte. æ Bewertet in der Klasse gemeinsam die Bedeutung der Argumente und Maßnahmen für die Demokratie und die Politik heute. (PUK) A6 Als die junge Republik ihre politischen Grundregeln entwickelt, schlägt die Stunde Hans Kelsens: Der wenig bekannte Rechts- und Staatswissenschaftler arbeitet Kompromisse aus, auf die sich alle einigen können. So wird eine Verfassung beschlossen, obwohl die großen Parteien einander sonst nicht vertrauen. Kelsen betont, dass Demokratie nicht nur die Mehrheit im Auge haben muss, sondern die ganze – niemals einheitliche – Bevölkerung. Kelsen entwickelt Regeln für gemeinsame Lösungen trotz gegensätzlicher Interessen – und verankert eine unabhängige Kontrolle der beschlossenen Gesetze durch den Verfassungsgerichtshof. […] Hans Kelsen war auch Richter am neuen Verfassungsgerichtshof. Dieser war der erste Gerichtshof weltweit, der Gesetze wegen Verfassungswidrigkeit aufheben konnte. Homepage des hdgö: Blog: 100 Jahre Verfassung Hans Kelsen, 1881–1973, Foto, 1971 Karl Renner, 1870–1950, Foto, um 1940 Michael Mayr, Foto, um 1920 Verhandlungssaal des Verfassungsgerichtshofs, Wien, Foto, 2019. An der Stirnwand des Saals ist der Wortlaut des Artikel 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes zu lesen: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
14 Demokratie Zerfall der Demokratie Nach der Nationalratswahl 1919 bildeten die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) und die Christlichsoziale Partei (CS) eine große Koalition. Sie zerbrach im Oktober 1920 aufgrund unterschiedlicher ideologischer Interessen der beiden Parteien. Danach standen sich das bürgerliche und das sozialdemokratische Lager nur noch feindlich gegenüber. Die SDAP, die sich als Vertreterin der Arbeiterinnen und Arbeiter sah, lehnte die Politik der bürgerlichen Regierung ab. Umgekehrt versuchten die Christlichsozialen durch politische Bündnisse (z.B. mit der Großdeutschen Volkspartei) den Aufstieg des Sozialismus zu verhindern und wollten einen Ständestaat errichten. Radikalisierung in der Ersten Republik Die politische Auseinandersetzung und die Sprache wurden immer radikaler. Der politische Kampf verlagerte sich immer öfter auf die Straße. Dafür waren die von den Parteien gegründeten bewaffneten Wehrverbände mitverantwortlich. Der Republikanische Schutzbund war eine Parteiorganisation der SDAP, die Heimwehr und die Frontkämpfervereinigung standen dem bürgerlichen Lager nahe. Regelmäßig marschierten die bewaffneten Verbände gegeneinander auf, um ihre Stärke zu zeigen. Die Spaltung der österreichischen Bevölkerung in zwei politische Lager verschärfte sich immer mehr. 1926 setzte die Sozialdemokratie ihr Linzer Programm in Kraft, in dem eine radikale, marxistisch geprägte Ideologie vertreten wurde. Daraufhin verstärkten sich die ideologischen Gegensätze zwischen den beiden Parteien noch weiter. Politischer Kampf auf der Straße Im Jänner 1927 kam es zu einem folgenschweren Ereignis im burgenländischen Ort Schattendorf. Beim Zusammentreffen von Mitgliedern des Republikanischen Schutzbundes und der Frontkämpfervereinigung wurden zwei unbeteiligte Menschen erschossen. Im darauffolgenden Gerichtsverfahren wurden die Täter von einem Geschworenengericht am 14. Juli 1927 von der Anklage des „beabsichtigten Mordes“ freigesprochen. Tausende Menschen protestierten daraufhin und im Zuge dieser Protestaktionen wurde der Wiener Justizpalast in Brand gesetzt. Bundeskanzler Ignaz Seipel befahl der Wiener Polizei, die Unruhen unter allen Umständen zu unterdrücken. Während der Straßenkämpfe, bei denen die Polizei Schießbefehl erhielt, starben 89 Menschen. Über 1 000 Menschen wurden verletzt. Nach den Ereignissen von 1927 wurden die Gegensätze der Lager unüberwindbar. Das mangelnde Vertrauen der Parteien in die parlamentarische Demokratie, die fehlende Gesprächsbereitschaft und der Einsatz von Gewalt als Mittel der Politik ebneten den Weg für die Zerstörung der demokratischen Strukturen in Österreich. Aufmarsch der Heimwehr in Wiener Neustadt, Foto, 1928 Aufmarsch des Schutzbundes in Eisenstadt, Foto, 1932 ÷ Im 20. Jh. prägten „politische Lager“ lange Zeit die österreichische Gesellschaft und viele Bereiche des Alltags. So waren z.B. auch Jugendund Sportvereine (Union, ASKÖ, ÖTB) nach politischen Gruppierungen ausgerichtet. Heute haben die politischen Lager im Alltag an Bedeutung verloren. P Ständestaat: Vorstellung eines nach Berufsgruppen (Ständen) organisierten Staates an Stelle eines demokratisch gewählten Parlaments P Frontkämpfervereinigung Deutsch-Österreichs: Zusammenschluss ehemaliger Soldaten der k. u. k. Armee zu einem Wehrverband; stand der Heimwehr ideologisch nahe; 1935 aufgelöst P Geschworene: ausgesuchte Personen ohne juristische Ausbildung, die bei einem Rechtsverfahren über Schuld oder Unschuld der Angeklagten entscheiden ÷ Eine Gedenktafel im Wiener Justizpalast verweist auf die Ereignisse, die 1927 zur weiteren Radikalisierung der politischen Situation in Österreich beitrugen. Bundespräsident Heinz Fischer (2004– 2016) enthüllt die Gedenktafel im Justizpalast, Foto, 2007 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
1 15 æ Beschreibe die Textquelle mithilfe von M16. æ Fasse die Einschätzung der politischen Situation 1926 durch die Sozialdemokratie zusammen, die in der Textquelle ausgedrückt wird. æ Nimm mithilfe des Schulbuchtextes Stellung dazu, inwiefern die Gegensätze der politischen Parteien in den späten 1920er-Jahren unüberwindbar waren. (HMK, PUK) A7 M16 æ Ermittle mithilfe des Schulbuchtextes und des Fotos vom Brand den historischen Hintergrund der Darstellung auf dem Wahlplakat aus dem Jahr 1930. Achte dabei besonders auf den Text am Plakat, die Darstellung der Person und des Gebäudes. Du kannst dazu auch ein Kurzvideo vom Brand des Justizpalastes online oder über die QuickMedia App ansehen. æ Diskutiert die Bedeutung dieses Ereignisses für die politische Entwicklung der Ersten Republik. æ Beurteile die Wirkung des Plakates auf Betrachterinnen und Betrachter. (PMK, PUK) A8 Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs, gestützt […] auf die Erfahrung jahrzehntelanger sieghafter Kämpfe, eng verbunden den sozialistischen Arbeiterparteien aller Nationen, führt den Befreiungskampf der Arbeiterklasse und setzt ihm als Ziel die Überwindung der kapitalistischen, den Aufbau der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Programm der sozialdemokratischen Arbeiterpartei 1926 (Auszug) Wahlplakat für die Nationalratswahl 1930 Brand des Wiener Justizpalastes am 15. Juli 1927, Foto Digitales Zusatzmaterial h3u9i2 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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