erleben und gestalten 4 - Geschichte und politische Bildung, Schulbuch

134 Gesellschaftlicher Wandel Die Neue Frauenbewegung Frauenbewegungen in Österreich Die sogenannte Neue oder Zweite Frauenbewegung ist eng mit der politischen Aufbruchsstimmung und den Protestbewegungen der späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre verbunden. Die Aktivistinnen der neuen Emanzipationsbewegung stellten die vorherrschende patriarchale Gesellschaftsordnung in Frage und wollten sich davon befreien. Auswirkungen des Patriarchats waren u.a. die Diskriminierung von Frauen und Mädchen. Frauen forderten mehr Selbstbestimmung, gesellschaftliche Gleichstellung, mehr politische Teilhabe und die Änderung politischer Machtstrukturen. Die Geschlechterrollen, alles, was typisch männlichem oder weiblichem Verhalten zugeschrieben wird, wurden kritisch hinterfragt. Die Zulassung der Antibabypille (hormonelles Verhütungsmittel) 1960 in den USA (Österreich 1962) veränderte den Umgang mit Sexualität nachhaltig. Frauen konnten dadurch freizügiger über ihr Sexualleben bestimmen. In den 1970erJahren demonstrierten Frauen u.a. auch in Österreich, für das Recht auf einen straffreien Schwangerschaftsabbruch. Unter Bundeskanzler Kreisky (SPÖ) wurde 1975 die sog. Fristenlösung eingeführt, sie war ein politischer Streitpunkt und wird bis heute von der katholischen Kirche abgelehnt. Im Zuge der Familienrechtsreform der 1970er-Jahre erhielten Frauen in Österreich wichtige Rechte. Die Stellung des Ehemanns als Oberhaupt der Familie wurde abgeschafft und die Frauen waren nun in der Ehe gleichberechtigt und hatten die gleichen Rechte und Pflichten. So konnte der Mann beispielsweise seiner Ehefrau nicht mehr verbieten, berufstätig zu sein. 1979 wurde Frauenpolitik auch auf Regierungsebene verankert, man schuf das „Staatssekretariat für allgemeine Frauenfragen“. Johanna Dohnal (SPÖ) wurde damit betraut. Sie hatte das Amt bis 1990 inne und war von 1991 bis 1995 die erste Bundesministerin für Frauenangelegenheiten. Geschlechtergleichstellung heute? In Bezug auf Gleichstellung und Geschlechterdemokratie gibt es auch heute noch viel zu tun. Frauen verdienen immer noch wesentlich weniger als Männer für die gleiche Arbeit und sind in Führungspositionen in Wirtschaft und Politik in geringerem Ausmaß vertreten. Immer noch leisten zumeist Frauen den Großteil der Kinderbetreuung und der Arbeit im Haushalt. 1997 wurde in Österreich ein Frauenvolksbegehren durchgeführt, das rund 645 000 Menschen unterstützten. Forderungen waren damals u.a. gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, Förderung der Gleichstellung von Frauen durch staatliche Bildungsmaßnahmen, Recht auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch Schaffung von Kinderbetreuungsplätzen, Recht jedes Menschen auf eine Grundpension und Einberechnung der Kindererziehungszeiten sowie der Pflegearbeit zu den Pensionszeiten. Die Forderungen wurden nur zu geringen Teilen umgesetzt, weshalb engagierte Frauen und Männer 2018 ein neues Frauenvolksbegehren unter dem Motto „Es wird Zeit“ initiierten. Dieses Volksbegehren, das rund 482 000 Personen unterschrieben, verlangte u.a. die soziale und wirtschaftliche Gleichstellung der Geschlechter, die Förderung der politischen Teilhabe von Frauen, die Schaffung einer flächendeckenden, qualitativ hochwertigen Kinderbetreuung, gerechtere Aufteilung von unbezahlter Arbeit zwischen den Partnern sowie Maßnahmen zur Armutsbekämpfung und zur Gewaltprävention. P Patriarchat: Gesellschaftsform, in der der Mann eine bevorzugte Stellung in Gesellschaft und Familie hat, diese kontrolliert und repräsentiert P Fristenlösung: Zeitraum, in dem unter gewissen Umständen ein Schwangerschaftsabbruch straffrei möglich ist Straßenschild gewidmet der SPÖPolitikerin und Frauenrechtlerin Johanna Dohnal, Foto, Wien, 2012 Medienaktion des Vereins Frauenvolksbegehren, Foto, 2019 ÷ Eine überparteiliche Plattform, das Unabhängige FrauenForum (UFF), initiierte 1997 das Frauenvolksbegehren „Alles, was Recht ist!“ Digitales Zusatzmaterial h832jk Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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