58 Holocaust Beispiele weiterer Genozide Der Genozid am armenischen Volk Das Osmanische Reich war ein Vielvölkerstaat, der im 19. Jh. durch den Sultan absolut regiert wurde. Die Minderheit der christlichen Armenierinnen und Armenier lebte dort bereits seit dem 14. Jh. Der Genozid 1915 an ihr steht im Zusammenhang mit dem türkischen Nationalismus und armenischen Unabhängigkeitsbestrebungen. 1908 kamen die „Jungtürken“ an die Macht. Nationalistische Ideen in Verbindung mit der Vorstellung eines ethnisch-religiös einheitlichen Staates gewannen politisch die Oberhand. 1913 wurde eine Militärdiktatur errichtet, die auch gegen Armenierinnen und Armenier vorging, die deshalb Unterstützung u.a. bei Russland suchten. Im Ersten Weltkrieg erlitt die jungtürkische Regierung 1914/15 am Kaukasus und in Ostanatolien eine schwere Niederlage gegen Russland. Die armenische Bevölkerung wurde der Kollaboration (Zusammenarbeit) mit dem Feind (Russland) beschuldigt und es begann eine planmäßige Vernichtung der Armenierinnen und Armenier. Aus allen Teilen des Osmanischen Reichs wurde die armenische Bevölkerung in Lager in Wüstengebieten des heutigen Syrien deportiert. Man schätzt, dass rund 1,5 Millionen Menschen durch die Todesmärsche bzw. später in den Lagern an Hunger und Seuchen starben. Die historische Forschung und zahlreiche Staaten, darunter auch Österreich, kennen die schrecklichen Ereignisse als Völkermord an und verurteilen sie. Die türkische Regierung spricht hingegen bis heute offiziell lediglich von tragischen Ereignissen in Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg und bestreitet den Genozid. Völkermord in Srebrenica Der Bosnienkrieg (1992–1995) war von unglaublicher Grausamkeit und Brutalität gekennzeichnet. In Bosnien-Herzegowina lebten Muslime (44 %), bosnische Serben (32 %) und bosnische Kroaten (ca. 17 %) zusammen. Die Bevölkerungsvielfalt führte im Krieg aber zu gegenseitigen Vertreibungen, da man „ethnisch reine“ Regionen schaffen wollte. Nach Ausrufung der Unabhängigkeit in Bosnien-Herzegowina im März 1992 brachen bewaffnete Kämpfe aus, denn die bosnischen Serben erkannte diese nicht an. Unter Präsident Radovan Karadžić brachte die Armee der bosnischen Serben bis Ende 1992 rund 70 % von Bosnien-Herzegowina unter ihre Kontrolle. Dabei kam es zu „ethnischen Säuberungen“, die besonders die muslimische Bevölkerung betraf. Sie wurden in Lager deportiert und vielfach umgebracht. Frauen wurden massenhaft Opfer von Vergewaltigungen. Die Stadt Srebrenica war im Krieg zu einer Zufluchtsstätte für bosnische Muslime geworden. Die Vereinten Nationen hatten dort eine UN-Schutzzone zur Kontrolle der Waffenruhe sowie zum Schutz und der Versorgung der Bevölkerung errichtet. Doch die UN-Truppen konnten die Sicherheit der Bevölkerung nicht gewährleisten. Bosnisch-serbische Truppen nahmen im Juli 1995 Srebrenica ein. Tausende bosnische Flüchtlinge versuchten zu entkommen bzw. sich in der UN-Schutzzone Potočari in Sicherheit zu bringen. Frauen und Mädchen wurden abtransportiert, die zurückgebliebenen bosnischen Männer (ca. 8 000) wurden ermordet und in Massengräbern verscharrt. Das Massaker von Srebrenica gilt als grausamer Tiefpunkt der „ethnischen Säuberungen“ im Bosnienkrieg. Mit der Unterzeichnung des Abkommens von Dayton endete der Bosnienkrieg im Dezember 1995. Bosnien-Herzegowina blieb ein einheitlicher Staat. Jedoch verursacht die festgelegte Untergliederung des Landes in eine muslimischkroatische und eine serbische Teilrepublik im politischen Zusammenleben der drei Bevölkerungsgruppen bis heute Probleme. ÷ Die armenische Zivilbevölkerung war im Ersten Weltkrieg mehrheitlich loyal gegenüber dem Osmanischen Reich. Nur einige nationalistische armenische Gruppen unterstützen Russland, doch der Vorwurf der Kollaboration traf das gesamte armenische Volk. Opfer des Völkermordes in Aleppo (Syrien), Foto, 1915 P Radovan Karadžić: bosnisch-serbischer Politiker, 1992–1996 Präsident von Bosnien-Herzegowina; 2019 wegen Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom UN-Gerichtshof in Den Haag (ICTY) zu lebenslanger Haft verurteilt Srebrenica-Potočari-Gedenkstätte, Genozid-Denkmal, Foto, 2013 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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