erleben und gestalten 4 - Geschichte und politische Bildung, Schulbuch

72 Soziale Ungleichheiten Wohlfahrtsstaat Was ist ein Sozialstaat? Ein Sozialstaat (Wohlfahrtsstaat) sorgt dafür, dass es eine soziale Absicherung für alle Menschen gibt. Eines der Ziele ist, Armut zu verhindern und Menschen, die in Not geraten (z.B. Krankheit), zu helfen. Es wird versucht, soziale Gerechtigkeit zu fördern, um auf diese Weise den Wohlstand für alle zu vergrößern. Wie die soziale Absicherung im Einzelnen gestaltet ist, unterscheidet sich aber von Staat zu Staat. Österreich versteht sich als Sozialstaat. Es besteht ein Anspruch auf Sozialleistungen z.B. in Fällen von Arbeitslosigkeit. Für die Finanzierung der Sozialleistungen werden Beitragszahlungen von Arbeitnehmerinnen und -nehmern sowie von Arbeitgeberinnen und -gebern bzw. auch Steuereinnahmen verwendet, um Beihilfen für Familien, Pensionen, Pflegegeld für pflegebedürftige Menschen und viele weitere Sozialleistungen erbringen zu können. Diese Leistungen haben sich Menschen in der Vergangenheit und Gegenwart hart erkämpft. Die Ausgaben für Sozialleistungen sind hoch, weshalb immer wieder diskutiert wird, wo man besser helfen könnte und auch, wo man eventuell Einschränkungen machen muss. Anfänge eines modernen Sozialstaats in Österreich Die Wurzeln der österreichischen Sozialpolitik liegen in der zweiten Hälfte des 19. Jh. Damals wurden wichtige Grundlagen geschaffen. Man führte 1889 u.a. die Unfall- und Krankenversicherung für Arbeiterinnen und Arbeiter sowie für Betriebsbeamte ein. Das System der Sozialversicherung besteht bis heute. Am Ende des 19. Jh. betrug die wöchentliche Arbeitszeit häufig bis zu 90 Stunden. Der harte Kampf um den Acht-Stunden-Tag dauerte viele Jahre. Dieser wurde erst nach dem Ersten Weltkrieg im Jahr 1919 zuerst in Industrie- und Gewerbebetrieben eingeführt. In der Zweiten Republik kam es zu einer weiteren Reduzierung der Normalarbeitszeit: 1959 wurde die 45-Stunden-Woche eingeführt und 1975 die 40-Stunden-Woche. Für deren Verwirklichung wurde 1969 die Bevölkerung durch ein Volksbegehren politisch direkt miteinbezogen, das die SPÖ eingebracht hatte. Heute gilt in einzelnen Branchen eine Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden. Interessenvertretungen Bei der Durchsetzung von Verbesserungen im Arbeitsbereich und der Schaffung sozialer Maßnahmen nehmen Interessenvertretungen eine wichtige Rolle ein. Wie du schon gehört hast, gibt es in Österreich die Sozialpartnerschaft. Hierbei arbeiten große wirtschaftliche Interessensverbände – Arbeiterkammer (AK), Wirtschaftskammer Österreich (WKO), Landwirtschaftskammer (LK) und Österreichischer Gewerkschaftsbund (ÖGB) – untereinander und auch mit der Regierung eng zusammen. Die Verbände bemühen sich, Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik gemeinsam zu lösen. Dabei müssen sie auch immer wieder Einigungen (Kompromisse) finden. Gerade weil viele Interessen und Herausforgerungen partnerschaftlich verhandelt und gelöst werden, gibt es in Österreich einen großen sozialen Frieden. Nur wenige Arbeitskonflikte führen zu Streiks. Österreich zählt zu den europäischen Ländern mit den wenigsten Streiktagen. Warnstreik der Handelsangestellten nach ergebnislosen Lohnverhandlungen, Wien, Foto, 2023 P Soziale Gerechtigkeit: Lebensbedingungen sowie Chancen und Möglichkeiten sollen für alle Menschen in einer Gesellschaft annähernd gleich sein P Sozialversicherung: staatlich geregeltes Versicherungssystem, in dem für wichtige Risiken des Daseins wie z.B. Krankheit, Mutterschaft, Pflegebedürftigkeit, Arbeitsunfall, Berufskrankheit, Arbeitslosigkeit durch Beitragszahlungen der Versicherten als auch durch Steuermittel vorgesorgt wird 2005 wurde die e-card der österreichischen Sozialversicherung eingeführt, Foto, 2005 ÷ Die SPÖ brachte 1969 ein Volksbegehren für die Einführung der 40-Stunden-Woche ein, das etwa 890 000 Menschen unterschrieben haben. Die Forderung wurde 1975 im Arbeitszeitgesetz umgesetzt. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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