erleben und gestalten 4 - Geschichte und politische Bildung, Schulbuch

90 Erinnerungskulturen Instrumentalisierung von Geschichte Geschichte als Politikum Geschichte begegnet uns in unserem Alltag immer wieder, beispielsweise in Form von Bauwerken, Denkmälern und Straßennamen. Gedenkfeiern und Jubiläen erinnern konkret an historische und/oder politische Ereignisse. Weiters begegnet man zahlreichen Darstellungen und Interpretationen der Vergangenheit in TV-Dokumentationen, Spielfilmen, Zeitschriften, Sachbüchern sowie im Internet. Alles zusammen prägt unser Geschichtsbewusstsein und unsere Vorstellung von der Vergangenheit. Geschichte wird von der Politik mitunter instrumentalisiert, um bestimmte Interpretationen durchzusetzen oder Mythen zu bewahren. Geschichte wird auf diese Art und Weise zu einem Politikum. Intensive Diskussionen über die angemessene Form des Gedenkens werden sowohl von Politikerinnen und Poltikern als auch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geführt. In den Jahren 2011 bis 2013 untersuchte eine Kommission von Historikerinnen und Historikern die historische Bedeutung von Persönlichkeiten, nach denen in Wien Straßen benannt wurden. Die Untersuchungen ergaben, dass rund vier Prozent der personenbezogenen Straßennamen als historisch kritisch zu betrachten sind. Daraufhin wurden die Kriterien für die Benennung von Verkehrsflächen überdacht und Empfehlungen erarbeitet. Umbenennung erfolgen nur in Ausnahmen, meist kommen Zusatztafeln zum Einsatz, die Auskünfte über die Biografie der Person liefern. Historische Argumente in der Politik Das Erinnern spielt eine zentrale Rolle in einer Gesellschaft. Oftmals geht es um die Auswahl und die Konstruktivität, warum, woran und wie gedacht werden soll. Die politische, oftmals parteiische Interpretation von Geschichte, wird als Geschichtspolitik bezeichnet. Meistens geht es um die Deutung und die Vorstellungen von der Vergangenheit in der Gegenwart, durch die auch die Zukunft beeinflusst wird. 2018 entbrannte beispielsweise eine politische Debatte um das „Trümmerfrauen-Denkmal“ in Wien. Es ging dabei weniger um die künstlerische Ausgestaltung als vielmehr um dessen historische Deutung. Wissenschaftliche Forschungen bezüglich des Mythos, dass österreichische Trümmerfrauen die Schäden des Zeiten Weltkriegs freiwillig beseitigten, ergaben, dass vorwiegend ehemalige Nationalsozialistinnen per Gesetz für die Arbeiten in Wien dazu gezwungen waren. Die Forschungsergebnisse führten dazu, dass sich ein Teil der Politik von dem Denkmal distanzierte, während Politikerinnen und Politiker des rechtsnationalen Spektrums das Denkmal befürworten. Historisches Erinnern ist somit immer an eine bestimmte Trägerschaft gebunden und birgt häufig Konfliktpotenzial. Trümmerfrauen beim Ziegel schlichten, Wien, Foto, 1946 Trümmerfrauen-Denkmal, Wien, Foto, 2023 P instrumentalisieren: etwas so einsetzen oder interpretieren, dass es einem bestimmten Zweck dient P Mythos, Mythen: überhöhte Darstellung von Personen, Dingen oder Ereignissen, die vermeintlich eine große Bedeutung haben; im historischen Sinn umfasst dies u.a. Sagen und Erzählungen aus der Vorzeit; im politischen Sinne geht es um die Konstruktion einer überhöhten Darstellung P Politikum: politische Angelegenheit Straßenschild mit Zusatztafel, Wien, Foto, 2021 Kranzniederlegung der österreichischen Bundesregierung in Gedenken an die Novemberpogrome, Wien, Foto, 2023 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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