GESCHICHTE VON DOKTOR FAUST, DEM TEUFELSBÜNDLER 135 Faust fand er im Süden auf klassischem Boden neue Kraft zu reinem Streben, Klarheit über sich selbst und höhere Ziele. In der Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften von Josef Nadler (1884 – 1963) (1. Auflage 1912 bis 1928) ist Goethes Faust ein barockes Spektakel: Himmel, Erde und Hölle, das Schicksal eines Menschen, der, ein Vertreter für die Menschheit, zur Rechten einen guten, zur Linken einen bösen Engel hat; ein Mensch, um dessen Seele Himmel und Hölle wirklich tätig kämpfen; der Erlösungsgedanke im Mittelpunkte: das war der Geist des Barockdramas seit seinen Anfängen. Mephistopheles missgestaltig neben den Erzengeln; Mephistopheles als Schalk und lustige Person; die spöttisch und hohnvoll nachgemachte Begleitstimme der ganzen Handlung: das war die Entwicklung aus dem Barock, wie sie das Wiener Drama des 18. Jahrhunderts darstellte. Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde Faust zum Vorfahren Hitlers, das „faustische Streben“ zum Drang der Deutschen nach einem starken Reich. Aus Karl Gabler, Faust – Mephisto, der deutsche Mensch, Berlin 1938: Nachdem vollends in Anknüpfung an den Geist von 1914 die Zauberkraft des Führers und Reichskanzlers in unserem Volke das im Grunde seines Wesens liegende, in der Nachkriegszeit fast erloschene faustische Streben in ungeahnter Weise neu entfacht hat, tritt die nationale Bedeutung des hohen Werkes erst recht hervor. Entspricht doch der Inhalt desselben, die Weltanschauung, auf der es beruht, die Entwicklung des Helden vom Kranken zum Gesunden sowie der beglückte Ausblick des Geistes in eine künftige Zeit neuen deutschen Volksdaseins ganz und gar den wesentlichen Gedanken des erneuerten Deutschland. Und im Dritten Reich erst hat deutsches Streben endlich seine eigentliche – die von Goethe im „Faust“ ihm gewiesene – Bahn gefunden und damit auch die durch den Dichter verheißene tatenfrohe Befriedigung in reichstem Maße gewonnen. Der Marxist Georg Lukács (1885 – 1971) ist in Goethe und seine Zeit (Bern 1947) der Meinung, Goethe habe seine beiden Figuren, Gretchen und Faust, in eine jenseitige Welt erretten müssen, weil [...] eine menschliche Vollendung – sei es für den Typus Faust, sei es für den Typus Gretchen – in der ihm bekannten gesellschaftlich-geschichtlichen Wirklichkeit unmöglich ist, mit dem unerschütterlichen Glauben an eine Zukunftsentwicklung der Menschheit, die, in einer ihm unbekannten Weise, einst auch diese Fragen lösen wird. Da aber Goethes Horizont mit der bürgerlichen Gesellschaft abschließt, kann er über diese Zukunft nicht einmal ein utopisches Bild schaffen. Aus Benno von Wiese (1903 – 1987), Faust als Tragödie und Mysterienspiel, Hamburg 1948: [...] der Prolog im Himmel und die Erlösung in der Transzendenz1 ist reines Mysterienspiel, das christliche Symbole im Goetheschen Sinne umformt und Gott und Teufel zu MitspieFaust zwischen Engel und Teufel 5 Faust als Urtyp des deutschen Menschen im Sinne des Nationalsozialismus 5 10 Faust scheitert an der bürgerlichen Gesellschaft 5 Faust als barockes Mysterienspiel 1 Transzendenz: hier: etwa: Jenseits Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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