BIEDERMEIER UND VORMÄRZ | 1815 – 1848 189 TITUS: Wundern über das Allgemeine? O nein! Die Nerven von Spinnengeweb’, d’Herzen von Wachs und d’Köpferl von Eisen, das is ja der Grundriss der weiblichen Struktur. FLORA (beiseite): Recht ein angenehmer Mensch – und die rabenschwarzen Haar’! – Ich muss aber doch (laut und in etwas strengem Ton), wer is der Herr und was will der Herr? TITUS: Ich bitt’, die Ehr’ is meinerseits! Ich bin Ihr untertänigster Knecht und empfehl’ mich. FLORA (nickt ihm erstaunt ein kurzes Adieu zu, weil sie glaubt, er will fort; als er stehen bleibt, sagt sie nach einer Pause): Na? Diese Red’ sagt man, wenn man fortgehn will. TITUS: Ich aber sag’ sie, weil ich dableiben will. Sie brauchen ein’ Knecht, und als solchen empfehl’ ich mich. FLORA: Was? Der Herr is ein Knecht? TITUS: Zur Gärtnerei verwendbar. FLORA: Als Gehilfe? TITUS: Ob Sie mich Gehilfe nennen oder Gärtner oder – das is alles eins; selbst – ich setz’ nur den Fall – wenn es mir als Gärtner gelingen sollte, Gefühle in Ihr Herz zu pflanzen – ich setz’ nur den Fall – und Sie mich zum unbeschränkten Besitzer dieser Plantage ernennen sollten – ich setz’ nur den Fall – selbst dann würde ich immer nur Ihr Knecht sein. FLORA (beiseite): Artig ist der Mensch – aber – (laut) Seine Reden sind etwas kühn, etwas vorlaut! TITUS: Bitt’ untertänig, wenn man sagt: „Ich setz’ nur den Fall“, da darf man alles sagen. FLORA: Er ist also – TITUS: Ein exotisches Gewächs: nicht auf diesen Boden gepflanzt, durch die Umstände ausgerissen und durch den Zufall in das freundliche Gartengeschirr Ihres Hauses versetzt, und hier, von der Sonne Ihrer Huld beschienen, hofft die zarte Pflanze, Nahrung zu finden. FLORA: Da fragt es sich vor allem, ob Er die Gärtnerei versteht? TITUS: Ich habe Menschenkenntnis, folglich auch Pflanzenkenntnis. FLORA: Wie geht denn das zusammen? TITUS: Sehr gut! Wer Menschen kennt, der kennt auch die Vegetabilien1, weil nur sehr wenig Menschen leben – und viele, unzählige aber nur vegetieren. Wer in der Fruh aufsteht, in die Kanzlei geht, nacher essen geht, nacher präferanzeln2 geht und nacher schlafen geht, der vegetiert; wer in der Fruh ins G’wölb’3 geht und nacher auf die Maut4 geht und nacher essen geht und nacher wieder ins G’wölb’ geht, der vegetiert; wer in der Fruh aufsteht, nacher a Roll’ durchgeht, nacher in die Prob’ geht, nacher essen geht, nacher ins Kaffeehaus geht, nacher Komödie spieln geht, und wenn das alle Tag’ so fortgeht, der vegetiert. Zum Leben gehört sich, billig berechnet, eine Million, und das ist nicht genug; auch ein geistiger Aufschwung g’hört dazu, und das find’t man höchst selten beisammen! Wenigstens, was ich von die Millionär’ weiß, so führen fast alle aus millionärrischer Gewinnvermehrungspassion ein so fades, trockenes Geschäftsleben, was kaum den blühenden Namen „Vegetation“ verdient. FLORA (beiseite): Der Mensch muss die höhere Gärtnerei studiert haben! (Laut): So dunkel Sein Kopf auswendig is, so hell scheint er inwendig zu sein. TITUS: Sind Ihnen vielleicht die schwarzen Haar’ zuwider? 20 25 30 35 40 1 Vegetabilien: Pflanzen, Pflanzenbestandteile 2 präferanzeln: Kartenspiel (fz. préférence) 3 G’wölb’: Gewölbe, Geschäft 4 Maut: Stelle, wo Maut kassiert wird 45 50 55 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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