Killinger Literaturkunde, Schülerband

BIEDERMEIER UND VORMÄRZ | 1815 – 1848 193 und beschwichtigte und ausmurmelte; sein Verzittern machte mir die Landschaft nur noch unbeweglicher, wie einen schwarzen Klumpen, der in zackiger Linie den silbergrauen Himmel abschnitt. „Seht einmal auf den Röllberg“, sagte mein Nachbar und zeigte mit dem Finger in die Nacht hinaus. Ein lichter Schein stand unten an dem bezeichneten Berge – die Mondesaureole1 war es; ich glaubte, er selber werde jetzt aufsteigen; aber nur der Schein klomm längs der steilen Kante des Felsens, der ordentlich schwarz gegen diesen Schimmer stand, bis der Mond endlich gerade auf dem Gipfel des Steines wie ein großes Freudenfeuer emporschlug zu dem Himmel, an dem schon alle Sterne harrten. Er trennte sich sodann und schwamm wie eine losgebundene, blitzende, weißglühende Silberkugel in den dunklen Äther2 empor – und alles war hier unten wieder hell und klar. – Die Berge standen wieder alle da und troffen von dem weißen niederrinnenden Lichte, das Wasser trennte sich und wimmelte von Silberblicken, ein Lichtregen ging in den ganzen Bergkessel nieder, und jedes feuchte Steinchen und jedes tauige Gräschen hatte seinen Funken. 9. Setzen Sie sich mit der Gestaltung dieses Textes von Adalbert Stifter auseinander: • Benennen Sie die Adjektive und Adverbien, mit denen Stifter in diesem Abschnitt arbeitet. • Geben Sie Beispiele für die besonders anschauliche Ausdrucksweise Stifters. • Kommentieren Sie die Wirkung dieser Vorgangsweise. 10. Beschreiben Sie nun einen Ihrer Lieblingsorte in ähnlich detaillierter Weise in Form eines erzählerischen Textes. In wenigen Jahren wurde Stifter zu einem beliebten Schriftsteller des „gebildeten Leserpublikums“ im ganzen deutschen Sprachraum. Im Österreichischen Morgenblatt schreibt Sigm. Engländer Anfang 1845: Bei Stifter ist nichts Gemachtes, nichts Erlerntes, nichts Anempfundenes und Erlogenes. Stifter ist ein Dichter. Doch bald meldeten sich auch Gegner der Stifter’schen Erzählweise zu Wort, deren Kritik nicht selten verletzende Schärfe hatte. Am stärksten traf Stifter ein Epigramm von Friedrich Hebbel, denn sein Urteil hatte größeres Gewicht und fand weitere Verbreitung als das anderer Kritiker. Friedrich Hebbel: Die alten Naturdichter und die neuen (Brockes, Geßner, Stifter usw.) (1849) Wisst ihr, warum euch die Käfer, die Butterblumen so glücken? Weil ihr die Menschen nicht kennt, weil ihr die Sterne nicht seht! Schautet ihr tief in die Herzen, wie könntet ihr schwärmen für Käfer? Säht ihr das Sonnensystem, sagt doch, was wär’ euch ein Strauß? Aber das musste so sein; damit ihr das Kleine vortrefflich Liefertet, hat die Natur klug euch das Große entrückt. 11. Nehmen Sie zur Kritik Friedrich Hebbels Stellung: • Fassen Sie zusammen, was Hebbel Stifter und den anderen genannten hier vorwirft. • Kommentieren Sie, ob und inwieweit sich Kunst mit dem Menschen beschäftigen soll. 10 15 1 Mondesaureole: Hof um den Mond 2 Äther: Weite des Himmels Kritik an der Darstellung des Kleinen 2 4 6Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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