208 2. Untersuchen Sie, wie Gottfried Keller in diesem Textabschnitt Humor als Ausdrucksmittel einsetzt: • Geben Sie Stellen dieses Abschnitts wieder, die zur humorvollen Wirkung beitragen. • Erklären Sie, auf welche Wirkung der Erzähler bei uns Lesenden damit abzielen könnte. Theodor Fontane: Effi Briest (1895) Theodor Fontane (1819 – 1898) hat den Moralkodex der gehobenen Gesellschaftsschichten des 19. Jahrhunderts und die daraus folgenden Verhaltensweisen in seinem Roman Effi Briest (1895) dargestellt. Darin wird ein Stück gesellschaftlicher Wirklichkeit lebendig: Dem Baron von Innstetten, einem hohen Ministerialbeamten, sind durch Zufall Briefe in die Hand gekommen, aus denen er sieht, dass seine sehr viel jüngere, schöne und liebenswürdige Frau vor Jahren ein kurzes Liebesverhältnis hatte. Er bittet sofort einen Freund zu sich und ersucht ihn, seine Forderung an den einstigen Liebhaber seiner Frau zu überbringen und beim Duell sein Sekundant (Berater und Zeuge eines Duellanten) zu sein. Der Freund fragt ihn, ob das wirklich sein müsse, und etwas später: „[…] Alles dreht sich um die Frage, müssen Sie’s durchaus tun? Fühlen Sie sich so verletzt, beleidigt, empört, daß einer weg muß, er oder Sie? Steht es so?“ „Ich weiß es nicht.“ „Sie müssen es wissen.“ Innstetten war aufgesprungen, trat ans Fenster und tippte voll nervöser Erregung an die Scheiben. Dann wandte er sich rasch wieder, ging auf Wüllersdorf zu und sagte: „Nein, so steht es nicht.“ „Wie steht es denn?“ „Es steht so, daß ich unendlich unglücklich bin; ich bin gekränkt, schändlich hintergangen, aber trotzdem, ich bin ohne jedes Gefühl von Haß oder gar von Durst nach Rache. […]“ Wenn er nach persönlichen Beweggründen handeln dürfte, würde er seiner Frau verzeihen, weil er sie liebt. Er wendet aber ein: Man ist nicht bloß ein einzelner Mensch, man gehört einem Ganzen an, und auf das Ganze haben wir beständig Rücksicht zu nehmen, wir sind durchaus abhängig von ihm. Ginge es, in Einsamkeit zu leben, so könnt ich es gehen lassen; ich trüge dann die mir aufgepackte Last, das rechte Glück wäre hin, aber es müssen so viele leben ohne dies ‚rechte Glück‘, und ich würde es auch müssen und – auch können. […] Aber im Zusammenleben mit den Menschen hat sich ein Etwas gebildet, das nun mal da ist und nach dessen Paragraphen wir uns gewöhnt haben, alles zu beurteilen, die andern und uns selbst. Und dagegen zu verstoßen geht nicht; die Gesellschaft verachtet uns, und zuletzt tun wir es selbst und können es nicht aushalten und jagen uns die Kugel durch den Kopf. Dieses „uns tyrannisierende Gesellschafts-Etwas“ nimmt Innstetten die Freiheit der Entscheidung: „Ich habe keine Wahl. Ich muss.“ Mit dem „Fleck auf seiner Ehre“, der ihm schwerer wiegt als sein Unglück, kann er in der Gesellschaft nicht leben. Auch für die Eltern der jungen Frau sind die Spielregeln der Gesellschaft zunächst wichtiger als Einsamkeit und Verzweiflung der einzigen Tochter. Nachdem Innstetten sie über Effis „Schritt vom Wege“ unterrichtet hat, schreibt ihr die Mutter: Ehrenkodex der gehobenen Gesellschaft 5 10 15 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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