210 und deiner Kraft, deiner verfluchten Kraft, Verfluchter!» «Hör auf, hör auf!» murmelte er; sie ließ sich aber nicht unterbrechen: «Schandbub du, mit deiner Kraft! O Jesus! daß eins sich wehren kann, wie ich mich g‘wehrt hab, und doch… Is das eine Gerechtigkeit? – Herr, mein Gott, für welche Sünd hast mich so g‘straft? Warum hast du das zug‘lassen?» Georg wetzte auf seinem Platze hin und her, machte einen immer runderen Rücken und blickte zur Seite, indes sie fortfuhr: «Weißt noch, wie du mir am nächsten Tag wieder nachg‘stiegen bist, und auch später die ganze Zeit, und wie ich mich hab einsperren müssen vor dir, wenn ich allein war im Haus? Und wie ich mein Unglück erkannt hab, weißt noch, wie ich da gekommen bin und dir‘s g‘sagt hab und wie du mich ausg‘lacht hast und mir ausg‘wichen bist von dem Tag? Und wie ich mir am End keinen Rat mehr g‘wußt und deinen Vater um Hilf ang‘rufen hab, da hat er gleich ungläubig g‘schmunzelt, und du hast alles g‘leugnet mir ins G‘sicht!» Er griff sich an den Kopf: «Ich hab halt so viel Angst g‘habt vor mein Vatern; er war gar streng.» «Angst? Das gibt›s, daß einer so eine Kraft hat und doch Angst? Aus Angst hat der Schandbub g‘sagt: ‹Ich weiß nix von ihr!…›» Sie preßte die Wange auf die Brust der Mutter: «Hörst du mich, ich schwör dir‘s, meine Hand liegt auf dein‘m Kopf, mein G‘sicht liegt auf dein‘m Herzen. Ich bin ganz unschuldig g‘wesen; du kannst auf mich herabschaun vom Himmel und brauchst dich nicht kränken. Tu‘s nur, schau auf mich herab! Jetzt kann ich zu dir sprechen und werd nicht einmal mehr rot. Wie du g‘lebt hast, konnt ich nur sagen: ‚s is g‘schehn, und der Georg hat‘s getan. – Mehr konnt ich nicht sagen; und du hast g‘sehn, wie ich mich herunterkränk, und warst voll Angst, daß ich mir was antu, wenn d‘ viel fragst… Und der Vater, der...» Sie hob den Kopf, verbiß ein Schimpfwort und sprach mit bitterem Hohne: «Dem war‘s eher recht; er hat einmal einen ordentlichen Grund g‘habt, mich durchzupeitschen, und is dann gar nimmer aus‘m Wirtshaus gekommen, wo er sich Trost g‘holt hat für mein Unglück… Mein Unglück, das der da verschuldet hat… O Mutter!» brach sie leidenschaftlich aus, «einmal, ein einzig‘s Mal noch mach deine Augen auf und schau den an! Sieht er nicht aus wie‘s böse G‘wissen? Nimm deine Verzeihung z‘ruck und fluch ihm, wie er‘s verdient!» Er bückte sich unwillkürlich unter der Verdammung, die sie auf ihn niederrief. «Schweig einmal!» sprach er. «Warum mußt mich so niederdonnern? Ich will alles gutmachen, wie g‘sagt. Ich nehm dich. Ich hätt dich schon lang g‘nommen; aber hatt‘s denn sein können? Ich hab warten müssen, bis dein Vater nimmer is. Wie der war, hätt er uns an den Bettelstab ‚bracht. Dein Vater hat halt zu lang g‘lebt.» 4. Interpretieren Sie diesen Abschnitt nach inhaltlichen und sprachlichen Gesichtspunkten: • Fassen Sie zunächst den Inhalt dieses Gesprächs zusammen. • Beschreiben Sie die Kommunikationssituation (Sender – Empfänger, Redeanteil, Intention). • Analysieren Sie, welche sprachlichen Mittel die Frau einsetzt, um die Dringlichkeit ihrer Aussagen zu steigern. • Erläutern Sie, welche gesellschaftlichen Zustände in diesem Text thematisiert werden. • Kommentieren Sie mögliche Unterschiede bzw. Parallelen zum aktuellen Umgang mit sexueller Gewalt. 5. Vergleichen Sie die Analyse dieses Abschnitts mit dem Gesamteindruck dieses Textes: • Suchen Sie den Gesamttext im Internet und lesen Sie die Erzählung zur Gänze. • Stellen Sie Ihre Einschätzung dieser Situation dem Gesamteindruck des Textes gegenüber. 5 10 15 20 25 30 35 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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