216 der Bettdecke hervor, tastete einen Augenblick herum, rieb endlich ein Zündholz an und machte Licht. Doch sie blieb da sitzen; ihr Kopf war so schwer, dass er vornüberfiel in einem unüberwindlichen Bedürfnis, den Schlaf fortzusetzen. 1. Untersuchen Sie Zolas Schilderung der Lebensumstände einer Bergarbeiterfamilie: • Fassen Sie diese Textstelle zusammen. • Beschreiben Sie, welche Aspekte dieses Textabschnittes die missliche Lage des Proletariats zeigen. • Erläutern Sie, wie diese Aspekte der Leserin bzw. dem Leser nahegebracht werden. Émile Zola vollzog die konsequente Gleichsetzung von Kunst und Natur: „Ein Kunstwerk ist ein Stück Natur“, allerdings mit dem Zusatz: „gesehen durch ein Temperament“. In seiner programmatischen Schrift Le roman expérimental forderte Zola den „wissenschaftlichen Roman“, d. h. eine Romanliteratur, die sich ganz in den Dienst der Erfahrungswissenschaften stellt. Der Schriftsteller hat nicht nur die Aufgabe, von einer wissenschaftlichen Basis auszugehen, er muss vielmehr wissenschaftliche Erkenntnisse vermitteln und ihre Gültigkeit am physischen und psychischen Zustand seiner Figuren und am Geschehen erweisen; ja, er soll sogar durch gedankliches Experimentieren neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen den Weg bahnen. Auch die Arbeitsweise hat methodisch und wissenschaftlich zu sein: Der Schriftsteller hat den Gegenstand, über den er schreiben will (einen Ort, ein Milieu, eine gesellschaftliche Einrichtung), sorgfältig zu studieren, er muss sich an Ort und Stelle Notizen machen, muss Dokumente, die seinen Gegenstand betreffen, sammeln und sichten. Wenn seine Forschungsarbeit abgeschlossen ist, „wird sich sein Roman von selbst machen. [...] Das Interesse konzentriert sich nicht mehr auf die Merkwürdigkeit der Fabel1; im Gegenteil, je banaler und allgemeiner sie ist, desto typischer wird sie.“ Zola hat seine theoretischen Forderungen selbst sehr genau befolgt und sich z. B. längere Zeit unter den Bergarbeitern im nordfranzösischen Kohlenrevier aufgehalten, ehe er den Roman Germinal schrieb. Der folgende Textausschnitt spielt im Maschinenraum der Förderanlage. Einen Augenblick stand Etienne unbeweglich da, betäubt und geblendet. Er fror, denn es zog von allen Seiten. Dann trat er einige Schritte vorwärts, angezogen durch die Maschine, deren stählerne und kupferne Bestandteile er glänzen sah. Sie stand etwa fünfundzwanzig Meter hinter der Schachtmündung in einem höher gelegenen Saale, so fest auf ihrem Unterbau gelagert, dass sie mit ganzem Dampfe arbeitete, mit ihren vollen vierhundert Pferdestärken, ohne dass die Bewegung ihrer riesigen Treibstange, die, weil gut geölt, leicht und glatt auf und ab stieg, die Mauern im Geringsten erschüttert hätte. Der Maschinist, der am Verschlusskolben stand, lauschte dem Geklingel der Signale und wandte kein Auge von der Nachweistafel, auf welcher der Schacht mit seinen verschiedenen Stockwerken durch eine senkrechte Fuge dargestellt war, in der an Schnüren befestigte Bleistücke, die Aufzugskästen darstellend, auf und nieder liefen. Wenn bei jedem Abstieg die Maschine sich in Bewegung setzte, drehten sich die Wellen, die beiden Riesenräder von fünf Meter Durchmesser, auf deren Naben die Stahlseile sich in entgegengesetzter Richtung auf und ab rollten, mit solcher Schnelligkeit, dass sie einem grauen Staube glichen. [...] Etienne sah das Getriebe der Seile in der Luft, mehr als dreißig Meter stählerner Bänder, die in einem Schwung im Glockenstuhle emporstiegen, wo sie über Räder gelegt waren, um senkrecht in den Schacht abzufallen, wo sie an den Aufzugskästen befestigt waren. Ein eisernes Gerüst, dem Gebälk eines Glockenturmes gleichend, trug die Räder. Kunst ist Natur, gesehen durch ein Temperament Naturwissenschaftliche Methode in der Literatur 30 35 40 45 1 Fabel: hier: einer Dichtung zugrunde liegende Handlung in ihren wesentlichen Zügen Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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