220 FRAU SELICKE: Oh, aber mein Linchen! ... Bin ich denn sonst nicht gut? [...] LINCHEN: Mamachen? FRAU SELICKE (rückt ihr etwas näher): Na? LINCHEN: Nicht wahr ... Ma-machen? ... Du zankst nicht mehr ... mit mir ... wenn ich ... erst wieder ... gesund ... bin ... FRAU SELICKE: Ach, meine ... (küßt sie.) [...] LINCHEN: Bringt Papa ... ein’ Baum mit ... und Lichter? FRAU SELICKE: Ja, Liebchen! Und morgen kommt der Weihnachtsmann! [...] Die Mutter wartet mit Toni, der 22-jährigen Tochter, die Nacht über auf ihren Mann, der Alkoholiker ist. Die beiden Söhne, Albrecht und Walter, sind schon schlafen gegangen. FRAU SELICKE: Horch mal! ... Poltert’s nicht auf der Treppe?! [...] TONI: Da kommt wer! FRAU SELICKE: Ach Gott! (Fährt in die Höhe.) TONI: Er ist es! ... Endlich! FRAU SELICKE: Ach! – Ach! – Mein Herz! – Mein Herz! Die Angst drückt’s mir ab! [...] TONI: Er ist auf der Treppe! – Hinten! (Sie ist auf Frau Selicke zugetreten.) FRAU SELICKE: Ich renne fort! ... Ach! Wohin? TONI: Sei ruhig, Mutterchen! FRAU SELICKE: Ach, meine Angst! Meine Angst! ... Pass auf! ... Es gibt’n Unglück! Das arme Kind! ... TONI (stützt sie): Beruhige dich doch, Mutterchen! Er ist ja gar nicht so schlimm, wie er immer tut! [...] FRAU SELICKE: Mich schwindelt! ... Mir ... is ... zum Umkomm’n! (Stützt sich gegen Toni.) Horch! ... Er kommt heut wieder hinten rum! Ach, mein Herz! Mein Herz! ... Fühl mal! WALTER (aus der Kammer in höchster Angst): Mutterchen! Mutterchen! Es pumpert gegen die Küchentür! FRAU SELICKE: Ach Gott, ach Gott! is der schwer! ... Ruhig, Walter! Sei still, mein Junge! ... Tu, als ob du schläfst! ... Toni, mach auf! TONI: Ja! Geh solang vorn raus, Mutterchen! Auf alle Fälle! (Toni ab in die Küche mit der Lampe. Frau Selicke steht einen Augenblick nach der Küche hin lauschend. Zittert. Presst beide Hände aufs Herz. Geht dann auf die Flurtür zu. – Es poltert in der Küche. Schwere Schritte. Eine tiefe Bassstimme. Lustiges Lachen. – Frau Selicke verschwindet schnell im Flur. Die Küchentür wird aufgestoßen. Noch hinter der Szene die Stimme Selickes: Na? ... Tönchen ... Tööönchen ...). SELICKE (tritt in die Stube, welche in diesem Augenblicke nur von dem Licht der Lampe, das aus der Küche in die Stube fällt, hell ist. Selicke: ein großer, breitschultriger Mann mit schwarzgrauem Vollbart. Schwarzer Sonntagsanzug unter dem offenstehenden Überrock. Er schleift einen kleinen Christbaum hinter sich; aus den Taschen sieht Papier von Paketen 10 15 25 30 35 40 45 50 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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