226 Werken meint Nietzsche, dass die Welt auf Dauer nur als ästhetisches Phänomen zu rechtfertigen sei. Später betont er den außergewöhnlichen Menschen, die große Einzelpersönlichkeit. Die Entwicklung des „Übermenschen“ stütze sich nicht auf die Masse der Unbedeutenden, sondern hebe die Menschen heraus, die allein die Welt und sich selbst zu einem Kunstwerk zu machen vermögen. Großen Einfluss auf die Kunstschaffenden und Intellektuellen hat der Begründer der Psychoanalyse, der Wiener Arzt Sigmund Freud (1856 – 1939). Seine Bedeutung liegt vor allem darin, dass er das Unbewusste oder Unterbewusstsein erforscht hat. Freud sucht Zugänge zum Unterbewusstsein und findet sie unter anderem in der Traumdeutung und der freien Assoziation: Scheinbar unzusammenhängende Äußerungen der Patientin oder des Patienten ermöglichen dem Psychoanalytiker, ins Unbewusste verdrängte Wünsche und Triebregungen zu erkennen. Die Verdrängung von Vorstellungen und Regungen, welche die Gesellschaft tabuisiert hat, kann verschiedene Formen von Neurosen verursachen. Die Heilung der Patientinnen und Patienten kann dadurch erreicht werden, dass die meist in die Kindheit zurückreichenden verdrängten Erlebnisse mit Hilfe des Analytikers ins Bewusstsein gehoben und verarbeitet werden. Freuds Klientinnen und Klienten sind aus derjenigen gehobenen Gesellschaftsschicht, aus der die literarischen Figuren Schnitzlers und Hofmannsthals stammen. Auch der Begriff „Ambivalenz“, den Sigmund Freud verwendet hat, bringt einen wichtigen Gesichtspunkt zum Verständnis mancher Werke. Er drückt aus, dass gegensätzliche Empfindungen nebeneinander bestehen können, ohne dass ein Ausgleich gefunden wird (z. B. Hassliebe). Die Vielschichtigkeit menschlicher Handlungen steht mit dieser ambivalenten Grundhaltung in engem Zusammenhang. Freud verkehrte wie viele aus seiner Schicht in den Wiener Cafés, von denen einige, wie das Café Griensteidl und das Café Central, literarische Berühmtheit erlangten. Das literarische Café war Spiegelbild einer geistigen Haltung, die charakteristisch für Wien und die Monarchie war. Man schloss sich hier nicht zu Vereinen und Zirkeln zusammen, wie dies in Deutschland üblich war (z. B. im Kreis um Stefan George oder um die Freie Bühne Berlin), denn man verabscheute feste Regeln und Programme. In den Cafés diskutierte man zwanglos literarische, wissenschaftliche, künstlerische und politische Fragen. Man las sich gegenseitig neue Werke vor. Die Bindungen blieben jedoch stets locker. Es wurden auch Dichtende beeinflusst, die den Kreisen nur kurz und beiläufig angehörten. Neben Schauspielern (darunter Josef Kainz und Alexander Girardi), Journalisten (wie Karl Kraus und Alfred Polgar), Wissenschaftlern und bildenden Künstlern (etwa dem Architekten Adolf Loos) verkehrten vor allem Literaten in den Cafés. Eine der führenden Persönlichkeiten war Hermann Bahr (1863 – 1934), der als Theoretiker und Anreger mehr Bedeutung erlangte denn als Verfasser zahlreicher Dramen und Romane. Er machte die Wienerinnen und Wiener mit neuen Strömungen bekannt, die er auf zahlreichen Reisen in den Zentren Europas kennen gelernt hatte. Die bedeutendsten Dichter der Wiener Moderne waren Hugo von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler. Hugo von Hofmannsthal (1874 – 1929) Der Dichter Hugo von Hofmannsthal stammte aus einer Adelsfamilie, die zwar nicht besonders begütert, aber kulturell sehr interessiert war. Bereits in seiner Jugend nahm er mit großer Sensibilität das reiche Wiener Kultur- und Geistesleben in sich auf. Schon als Gymnasiasten gelangen ihm formvollendete Gedichte. Früh empfand er die Last des Kulturerbes und erahnte die inneren Zusammenhänge: Wir haben nichts als ein sentimentales Gedächtnis, einen gelähmten Willen und die unheimliche Gabe der Selbstverdoppelung. Wir schauen unserem Leben zu; wir leeren den Pokal vorzeitig und bleiben doch unendlich durstig: […] Freuds Psychoanalyse Literarische Zirkel Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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