GEGENSTRÖMUNGEN ZUM NATURALISMUS | 1890 – 1925 227 Der Wohlklang seiner Sprache und der Einsatz aller sprachlichen Mittel (Lautmalerei, Alliteration, Synästhesie) zur Steigerung der Aussage haben oft dazu geführt, dass in Hofmannsthal nur der Sprachästhet gesehen wurde. Bildkraft und Musikalität sind für ihn jedoch Mittel, in der „fürchterlichen Welt“ Halt zu finden und die „ungeheure“, „unfassbare Wirklichkeit des Lebens“ in Worte zu kleiden. Die dichterische Eigenart Hofmannsthals liegt darin, dass er nicht eine reine Formkunst als Ausdruck eines zeitgemäßen Schönheitskultes schafft, sondern beständig Fragen nach der Wirklichkeit und dem Sinn des Lebens stellt, die nicht immer beantwortet werden können. Einige Motive ziehen sich durch das gesamte Schaffen Hofmannsthals. Das ambivalente Lebensgefühl ist besonders für die frühen Dichtungen typisch. Einerseits versucht der Mensch verzweifelt, das Leben zu erkennen, seine Schönheit ungebrochen zu genießen und sich selbst zu verwirklichen, andererseits lähmt das Bewusstsein von der Bedrohung durch den Tod jeden Lebensgenuss. Das Todesmotiv, das Hinstarren auf das Ende, ist nicht nur für Hofmannsthal typisch, sondern ein Zug der ganzen Epoche. In Hofmannsthals Werken ist der Tod Hoffnung und Schrecken zugleich. Der Mensch hat die Hoffnung, im Moment des Todes den wahren Sinn des Lebens zu erkennen. In der Dichtung wird dieser Zustand durch die Faszination einer fremden Schönheit angedeutet. Ein weiteres Motiv im literarischen Schaffen des Wiener Kreises und besonders in dem Hofmannsthals ist das Welttheater. Nicht nur in den Bühnenstücken, auch in der Lyrik wird der Mensch als Träger einer Rolle gesehen. Ein unmittelbares Erfassen des Lebens und eine individuelle Gestaltung werden dadurch erschwert. Gleichgültig, ob der Mensch sein Rollendasein erkennt oder nicht, er ist in seiner Rolle bis zu seinem Ende schicksalhaft gefangen. In dem frühen Drama Der Tor und der Tod (1893) sagt Claudio: Wie auf der Bühn ein schlechter Komödiant – Aufs Stichwort kommt er, redt sein Teil und geht […] So über diese Lebensbühne hin Bin ich gegangen ohne Kraft und Wert. Auch in den späteren Werken Hofmannsthals, im Jedermann (1912) und im Salzburger Großen Welttheater (1922), herrscht dieses Motiv vor. Die Rolle wird oft als tragisch erlebt, weil der Sinn des Lebens nicht erkennbar ist. Gott ist nicht mehr wie im frühen Mysterienspiel der große Regisseur. Wie aus einem Traum erwacht, hat der Mensch noch eine bruchstückhafte Erinnerung an den Sinn des Lebens. In der Kindheit ist vielleicht noch ein Erkennen möglich, später geht es verloren. „Wir haben aus dem Leben, das wir leben, ein Spiel gemacht.“ Tod und Leben, das Ringen um den Sinn des Lebens, die Einsamkeit des Menschen, der aus seiner Individualität nicht heraustreten kann, der die Dinge und die Menschen nicht begreift und sich ihnen nicht mitteilen kann, finden wir auch in Hofmannsthals Lyrik. Terzine Die aus dem Italienischen stammende dreizeilige Strophenform der Terzine besteht aus einer theoretisch unbegrenzten Reimverkettung. Das Reimwort der mittleren Zeile wird in der nächsten Strophe wieder aufgenommen, sodass ein strophenübergreifender Kreuzreim entsteht (aba bcb cdc ...). Am Schluss der Terzine steht ein einzelner Vers, der auf die vorletzte Zeile reimt. (Hofmannsthal hat jedoch die Reimordnung der ersten und der letzten Verse abgeändert.) Jede Zeile besteht aus fünf jambischen Verstakten. Die Terzinenform eignet sich auch als epischer Vers. So hat Dante Alighieri seine Göttliche Komödie in Terzinen geschrieben. Grundmotive in Hofmannsthals Dichtung 2 4 Zweifel am Sinn des Lebens Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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